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Energiepolitik: „Der Bund darf sich erst Recht nicht aus der Verantwortung stehlen“

Wirtschaft | Von | 26. Februar 2016

Die Wirtschaftsförderung muss die Vielfalt im Blick haben, um gesunde Wirtschaftsstrukturen mit geringen Abhängigkeitsverhältnissen zu erhalten, sagt Prof. Heiner Monheim Foto: privat

Die Wirtschaftsförderung muss die Vielfalt im Blick haben, um gesunde Wirtschaftsstrukturen mit geringen Abhängigkeitsverhältnissen zu erhalten, sagt Prof. Heiner Monheim Foto: privat

Der Strukturwandel-Experte Prof. Heiner Monheim setzt vor allem auf den Mittelstand als Arbeitgeber der Zukunft

Region (mk). Heiner Monheim war in Trier Professor für Angewandte Geografie, Raumentwicklung und Landesplanung. Er gilt als Experte des Strukturwandels in Deutschland. Im Interview erklärt er, warum er es für eine Illusion hält, dass alle Braunkohle-Arbeitsplätze ersetzt werden können und warum ein Strukturwandel dennoch auch immer viele Chancen für eine Region mit sich bringt.

 

Herr Prof. Monheim, Strukturwandel gab es zu allen Zeiten. Was unterscheidet das absehbare Ende der Braunkohle von vergangenen Einschnitten?
Prof. Monheim: Ein Strukturwandel ist zunächst immer ein langfristiger Prozess. Er erfasst meist ganze Teile der Wirtschaft und nicht nur einzelne Branchen. Diese Prozesse gab es in der Tat schon immer. Ein Klassiker ist hier die Landwirtschaft. Im Westen arbeiteten nach dem Krieg 40 Prozent der Menschen in der Land- und Forstwirtschaft. Heute sind es 1,6 Prozent. Trotz dieser riesigen Veränderung gab es keinen Aufstand, da Deutschlands Wirtschaft stark wuchs und die expandierende Industrie für die Menschen lukrativen Ersatz bot.

Dieser Ersatz ist nicht in Sicht.

Heute sieht es in der Tat anders aus. Bei der Landwirtschaft, um im Bild zu bleiben, handelte es sich früher meist um kleine Betriebe. Die Bergbau- und Energieunternehmen wie Vattenfall sind dagegen Giganten. In der ökonomisch nicht sehr starken Lausitz können diese Tausende Arbeitsplätze im Bergbau- und Energiesektor nur schwer ersetzt werden. In jedem Strukturwandel gibt es Gewinner und Verlierer. Ohne Betroffene spielt sich solch eine gravierende Änderung nie ab. Es wird also wehtun für alle, die keine Beschäftigungsalternativen finden.

Ist der Ruf nach finanzieller Unterstützung verständlich?

Der Staat baut ja nicht selbst Arbeitsplätze. Er muss sich aber um regionale Wirtschaftsförderung kümmern. Das hat er traditionell immer schon für notleidende Regionen getan. Allerdings hat die EU den Rahmen deutlich verschoben. Heute gibt es Länder, die haben Regionen mit viel größeren Problemen und beanspruchen daher mehr Mittel aus dem Regional- und Sozialfonds. Aber der Bund darf sich deshalb erst Recht nicht aus der Verantwortung stehlen, wenn er den Braunkohle-Ausstieg aus Klima-schutzgründen beschleunigen will. Dazu sieht er sich gezwungen, weil die Bundesregierung  in Paris heilige Eide geschworen hat, den Kohlenstoffdioxid-Ausstoß stark zu senken.

Wo und wie kann Geld vom Bund helfen?

In erster Linie sind Qualifizierungsmaßnahmen wichtig. Durch berufliche Weiterbildung, Umschulung und verbesserte Grundbildung. Aber Bildung braucht ihre Zeit, bis die Erfolge sichtbar werden. Auch in der Lausitz ist der heutige Strukturwandel im Gegensatz zur Wende ein gleitender Prozess, der langen Atem erfordert.

Welche Rolle spielen Universitäten bei diesem Wandel?

Nach dem Strukturwandel in den 60er-Jahren sind im Ruhrgebiet zehn Hochschulen neugegründet worden. Und als Bonn seine Hauptstadtfunktion verlor, wurde es mit drei großen Forschungszentren und vier neuen Hochschulen kompensiert. Trotzdem ist diese Strategie nicht 1:1 für die Lausitz übertragbar. Die Zeit der Hochschulneugründungen ist leider vorbei. Immerhin hat Cottbus eine Universität. Die Frage ist jetzt die, wie aus deren Studierenden Unternehmer werden und neue kleine Unternehmen entstehen können. Geld, das hier vom Bund in die Forschung, den Wissenschafts- und Technologietransfer sowie in junge Start ups investiert wird, ist jedenfalls gut angelegtes Geld.

Die BTU kann den Strukturwandel sicher nicht allein stemmen.

Die Investition in die Köpfe ist nur eine Maßnahme. Ihr quantitativer Effekt reicht sicher nicht aus. Ganz wichtig ist die Förderung der kleineren und mittleren Betriebe. Ihre Bedeutung wird oft übersehen. Der Braunkohle-Strukturwandel ist ja ein Musterbeispiel, dass das Setzen auf Großindustrie auch große Gefahren birgt. Das klassische Beispiel ist hier für die Forscher die Stadt Detroit, die enorm von der Autoindustrie abhängig war. Wir haben das im Ruhrgebiet im kleinen Maßstab mit Opel ähnlich erlebt. Nicht nur die Energieunternehmen sondern auch die Autoindustrie wird in den kommenden zwanzig Jahren mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben und einen Strukturwandel durchmachen. Gesunde Wirtschaftsstrukturen basieren eben auf kleinen und mittleren Betrieben. Monokulturen sind auf Dauer nicht überlebensfähig. Das lehrt auch die Land- und Forstwirtschaft. Die regionale Wirtschaftsförderung muss gerade  die Vielfalt pflegen.

Ist das eine Chance für die Lausitz?

Es ist ganz wichtig, jetzt nicht jammernd in Schockstarre zu verfallen, sondern regionale Maßnahmen zu entwickeln. Das ist nicht nur eine Motivations- sondern auch eine Kommunikationsaufgabe.

Das heißt?

Regionale Kreislaufwirtschaft lebt von der regionalen Kooperation. Wenn ich ein neues Vorprodukt habe, muss ich auch wissen, wer mir das Nachprodukt abnimmt. Daher ist wichtig, zu wissen, was andere Unternehmer produzieren. Es muss einen Marktplatz für den regionalen Austausch geben. Das ist eine klassische Aufgabe von Kammern, Verbänden und Wirtschaftsförderung.

Wie schätzen Sie die Chancen für die Lausitz ein?

Bei der Internationalen Bauausstellung IBA waren viele interessante Projekte dabei. Auch wenn ich an die historischen Stadtkerne im Osten denke, ist mir um den touristischen Reiz der Region nicht bange. In den Braunkohle-Folgelandschaften gibt es neue Potenziale für Industriekultur-Tourismus und Wassersport. Allerdings kann der Tourismus die Industriearbeitsplätze nicht 1:1 ersetzen. Sicher muss man auch die wirtschaftlichen Verflechtungen mit den Nachbarn im Osten stärker nutzen. Trotzdem, es wird auch weitere Abwanderung geben. Am Ende, fürchte ich, wird der Bund auch in Abwanderungsprämien investieren müssen. Mangels ausreichender Ersatzarbeitsplätze wird es schwer sein, alle Menschen in der Lausitz zu halten. Aber wie gesagt, das alles ist ein langsamer Prozess.

Lieben Dank für das Gespräch.

Mit Prof. Monheim sprach Mathias Klinkmüller



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