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Sonntag im Revier: Kippenböden geben Beispiel und Hoffnung

Sonntag im Revier | Von | 2. Juli 2019

Mit wissenschaftlichem Know-how werden Kippenböden für Land- und Forstwirtschaft nutzbar.

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Die Rekultivierung in der Lausitz ist bedingt durch die Geologie eine Herausforderung. Obwohl heute kulturfreundliches Material an der Oberfläche verkippt wird, sind auch die neuen Böden überwiegend nährstoffarm. Das führt dazu, dass der größere Anteil der Flächen hinterher forstwirtschaftlich genutzt wird. Dort, wo es gelingt, bindiges, nährstoffreicheres und besser wasserspeicherndes Material auf die Oberfläche zu bringen, können landwirtschaftlichen Flächen entwickelt werden | Foto: LEAG

Jährlich kürt das Kuratorium Boden des Jahres (dort vertreten sind die Deutsche Bodenkundliche Gesellschaft, der Bundesverband Boden und der Ingenieurtechnische Verband Altlasten) den Boden des Jahres. 2019 ist es der Kippenboden der Bergbaufolgelandschaft. Was ihn so besonders macht, vor welche Herausforderungen er Rekultivierer stellt und wie Wissenschaftler bei der Bodenentwicklung unterstützen, darüber sprachen wir mit Dr. Thomas Heinkele vom Forschungsinstitut für Bergbaufolgelandschaften e.V. (FIB) in Finsterwalde.

Herr Dr. Heinkele, was zeichnet den Kippenboden als Boden des Jahres 2019 aus?
Der Kippenboden ist ein sehr junger Boden, der sich erst wenige Jahre oder Jahrzehnte in der Entwicklung befindet. Die anderen, gewachsenen Böden auf den ausgedehnten Flächen des norddeutschen Tieflandes sind 10.000 bis 11.000 Jahre alt, Kippenböden maximal 80 bis 90. Der Vorsitzende des Kuratoriums „Boden des Jahres“, Dr. Milbert, hat das in einem sehr schönen Bild

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Dr. Thomas Heinkele vom Forschungsinstitut für Bergbaufolgelandschaften e.V. (FIB) in
Finsterwalde beschäftigt sich mit der Bodenentwicklung in Bergbaufolgelandschaften |Foto: privat

ausgedrückt: Der Kippenboden ist wie ein Kleinkind. Es ist am Anfang seiner Entwicklung noch klein und schwach. Es ist leicht formbar und leicht zu beeinflussen – positiv wie negativ – und hat die beste Zeit noch vor sich. Wir müssen uns fragen: Was haben wir diesem Kind in die Wiege gelegt? Welche Eigenschaften haben wir ihm mitgegeben und wie können wir zu seiner gesunden Entwicklung beitragen? Wir können einen Kippenboden fordern, sollen ihn aber nicht überfordern.

Seine Jugend macht diesen Boden also so besonders und auszeichnungswürdig?
Nein, das allein ist es nicht. Für mich macht die Kippenböden so interessant, dass sie beispielgebend sind und Hoffnung machen. Wo zwischenzeitlich ein großes Loch war, entsteht heute wieder neuer junger Boden. Selbst nach einer kompletten Vernichtung der ursprünglichen Bodendecke, kann ein neuer Boden entstehen, allerdings braucht man dazu Kenntnisse, Planung, Einsatz, Geduld und viel Zeit. Das passiert nicht von heute auf morgen.
Vor allem die nötigen Kenntnisse dafür liefern Wissenschaftler wie Sie. Wie lange gibt es eigentlich schon eine wissenschaftliche Begleitung der Entwicklung von Bergbaufolgelandschaften?
Die allerersten Kippenflächen entstanden bereits im 19. Jahrhundert, aber die waren so klein in Bezug auf die Gesamtlandschaft, dass man sich nicht weiter darum gekümmert hat. Man hat sie sich selbst überlassen, und irgendwann sind Pflanzen gekommen und haben sie besiedelt. Das ist gar nicht groß aufgefallen. Erst in den 1920er Jahren, als die ersten Großtagebaue anfingen zu arbeiten und Förderbrücken einsetzen, sind große, zusammenhängende Kippenflächen entstanden. Auf denen war, wie sich zeigte, eine Rekultivierung mit Pflanzen nicht so einfach möglich, weil es in den Böden Stoffe gab, die diesen Prozess behinderten. Deshalb gab es bereits Ende der 20er Jahre die ersten fachlich begründeten Vorschläge zur Rekultivierung solcher Flächen. Seit dieser Zeit beschäftigt man sich intensiv damit, und besonders intensiv seit den 60er Jahren mit der Gründung des Instituts für Landschaftsforschung und Naturschutz in Finsterwalde.

Das war der fachliche Vorgänger des heutigen FIB e.V. in Finsterwalde. Welche Erkenntnisse sind denn in der über 60-jährigen Forschungsgeschichte dieser Einrichtungen über die Kippenböden gewonnen worden? Gibt es wesentliche Unterschiede zwischen der Zeit vor und nach der politischen Wende?
Ja. Früher, also vor der Wende, war es so, dass überwiegend Böden entstanden sind, die Mischungen aus der gesamten Deckschichtenabfolge über dem Braunkohleflöz waren. Das hatte zur Folge, dass hier sehr unterschiedliche Böden in einem kleinräumigen Wechsel entstanden sind, die auch hohe Gehalte an Schwefel hatten und stark versauert waren. Sie brauchten einen hohen Aufwand an Melioration und Kalkeintrag. Das ist typisch für die Lausitzer Kippenböden, die vor 1990 entstanden sind. Nach 1990 – das basiert auf wissenschaftlicher Erkenntnis und wurde dann auch eine Vorgabe des Gesetzgebers – hat man mehr und mehr versucht, für die Böden nur noch kulturfreundliches Material zu verwenden, das im oberen Teil der Abraumgewinnung anfällt. Damit verhindert man, dass das tiefer liegende, stark versauernde, schwefelhaltige Material in die oberen zwei Meter gelangt, also in den Bereich, den wir als Wurzelraum und Boden bezeichnen. Das gelingt nicht überall, aber da, wo die Geologie es ermöglicht. Und so sind es im Vergleich zu früher viel weniger Flächen, die diese sauren Substratmischungen haben.

Wie hat sich in den Jahren die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Bergbaubetreiber entwickelt?
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Bodenentwicklung gehen schon seit den 60er Jahren mit ein in die Rekultivierung von Bergbaufolgelandschaften. In den 70er Jahren hat man an dem Vorgängerinstitut in Finsterwalde praktische Rekultivierungsmaßnahmen für die Entwicklung der damals überwiegend schwefelsauren Kippsubstrate entwickelt. Ohne diese Hinweise und Maßnahmen wären viele Flächen nicht rekultivierbar gewesen. Auch das FIB e.V. hat seit seiner Gründung 1992 viele Projekte für den Bergbaubetreiber vor Ort durchgeführt, ebenso für andere, zum Beispiel für den Bergbausanierer LMBV oder für die Wismuth bei der Rekultivierung von Uranerzhalden.

Mittlerweile ist das FIB auch international tätig. Wo zum Beispiel?
Aktuell gibt es da eine Mitarbeit in zwei Programmen der EU Horizon 2020-Initiative. In dem einen Projekt, „Tracer – Kohleregionen im Übergang“, geht es um die Entwicklung intelligenter Strategien für den Strukturwandel in heute noch kohleintensiven Regionen in Europa. Das Problem gibt es ja nicht nur in der Lausitz, sondern beispielsweise auch in Polen, Tschechien, Griechenland oder Großbritannien. In dem anderen EU-Projekt, „BIOPLAT EU“, steht die nachhaltige Bioenergie-Produktion als eine tragende Säule der europäischen Energie- und Klimapolitik im Vordergrund. Dabei geht es auch um die umweltfreundliche Mobilisierung nachwachsender Rohstoffe von bisher kaum genutzten Flächen außerhalb der Lebensmittelproduktion. Hierzu zählen landwirtschaftliche Grenzertragsböden, genauso wie Rekultivierungsböden des Bergbaus oder Altlasten. Wir haben aber auch verschiedene Projekte bearbeitet, in denen es unmittelbar um Bergbauböden geht, zum Beispiel in Südafrika auf Halden des Gold- und Platin-Bergbaus oder in der Mongolei, bzw. Projekte in Planung, zum Beispiel in Vietnam.

Was macht denn den Lausitzer Kippenboden im Vergleich zu anderen Kippenböden aus?
Wir haben hier in der Lausitz eine für die Rekultivierung recht schwierige Geologie. Obwohl heute kulturfreundliches Material an der Oberfläche verkippt wird, ist es doch so, dass wir dabei Böden erhalten, die überwiegend nährstoffarm sind und nicht so gut Wasser speichern können. Das führt dazu, dass der größere Anteil der Flächen hinterher forstwirtschaftlich genutzt wird. Dort, wo es gelingt, bindiges, nährstoffreicheres und besser wasserspeicherndes Material auf die Oberfläche zu bringen, kann man später die landwirtschaftlichen Flächen entwickeln.
Das Rheinische Revier mit seinen großen Löß-Vorkommen ist in dieser Hinsicht besser dran. Dort kann man die obere Bodenschicht bis zu zwei Meter mit kulturfreundlichem, sehr fruchtbaren Material aufbauen.

Was müssen Rekultivierer beachten, um einen solchen Kippenboden in der Lausitz optimal zu entwickeln?
Bei der landwirtschaftlichen Nutzung empfehlen wir Systeme, die in den ersten sieben bis acht Jahren möglichst rasch organische Substanzen, also Humus, im Wurzelraum anreichern. Dafür werden bestimmte Fruchtfolgen verwendet, die sehr viel Wurzeln bilden können und Stickstoff aus der Luft sammeln. Das kann beispielsweise Luzerne sehr gut. In den ersten Jahren soll dieses Material wenigstens zum Teil auf dem Feld verbleiben und wird in den Boden eingearbeitet, damit der Humusgehalt im Boden sich anreichern kann. Bodenentwicklung ist natürlich ein Prozess von mehreren Jahrzehnten, aber bereits nach sieben bis acht Jahren können die Böden von den Landwirtschaftsbetrieben wieder normal genutzt werden. Manche Böden haben dann vielleicht bereits eine Ertragskennzahl, die auch die verloren gegangenen Böden hatten. Insgesamt können wir beobachten, dass die Bodenqualität sich über Jahrzehnte verbessert und man Bedingungen vorfindet, die denen der vorherigen Landschaft zumindest entsprechen.

Und bei der forstlichen Nutzung?
Bei der Aufforstung auf Bergbaufolgeflächen versucht man, auf allen dafür geeigneten Flächen Laub- und Mischwälder anzupflanzen, und zwar sofort den Zielbestand mit beispielsweise Winterlinde, Trauben-, Stiel- oder Roteiche und gar nicht erst Pioniergehölze wie Birke oder Pappel, die man nach 20 Jahren wieder herausnehmen müsste. Da aber an vielen Stellen die Möglichkeiten des Bodens, Wasser und Nährstoffe zu speichern, gering sind, wird man auf diesen Standorten eher Kiefern aufwachsen lassen, die mit diesen Bedingungen zurechtkommen.
Das ist auch kein Fehler, denn in der Bergbaufolgelandschaft werden sie später auf jeden Fall ein viel bunteres Gemisch an Forstsystemen haben als heute in der gewachsenen Lausitzer Landschaft.

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