Es ist soweit: Aller zwölf Jahre feiern die Jains ihren Bahubali.
Mehr als 600 Stufen führen hinauf, die Menschen ächzen in sengender Hitze auf dem heißen Felsen. Doch dann ist das Tor erreicht, zu ihm – dem Bahubali, der mit mädchenhaft schlanker Taille vor dem Gerüst steht, von dem aus er am folgenden Tag mit hunderten Kilo Butterfett, Öl, Honig, Joghurt und Blüten übergossen wird. Es ist das große Fest der Jains, die zu zehntausend kommen, begleitet von Schaulustigen. Denn nur alle zwölf Jahre passiert das Spektakel dieser sonderbaren Minderheit, deren Glaube oder „Wissenschaft“ als Weltreligion gilt, wenn ihr auch nur vier bis acht Millionen Menschen anhängen, viele von ihnen dauernd nackt und asketisch.
Mindestens seit dem 6. Jahrhundert gibt es die Sekte, dem Buddhismus ähnlich auf der Suche nach Erlösung durch Reinigung. Aber sie wollen kein Tier, nicht einmal Einzeller töten und auch Pflanzen nicht zerstören. Äpfel essen sie erst, wenn die schon vom Baum gefallen sind. Die Vegetarier arbeiten heutzutage meist in Büros, nie in der Landwirtschaft, denn beim Pflügen würden sie viele Würmer umbringen. Sie sollen auch Eigentum meiden, aber Anshu Jain, bekennender Jainist und 2012 bis Mitte 2015 Vorstand der Deutschen Bank, hat kein Problem damit. Sein privates Vermögen wird auf 60 Millionen Dollar geschätzt. Wenn er Gutes damit tut, ist das keine Sünde.
Indien tickt anders. Auch außerhalb seiner Grenzen.
Bahubali trafen wir im Kern von Kamataka, westlich der Hauptstadt Bangalore. Über Hassan erreichen wir Belur und hier atemberaubende Zeugnisse der Hoysala-Baukunst. Ganz wie in euro-päischer Frühkultur, ließen Herr- scher anlässlich großer Siege Kapellen/Tempel bauen. Hier waren die Skulpturen derart fein, üppig, ideenreich und durchaus auch witzig gemeißelt, dass sie Weltruhm erlangten, etwa die Frau, die kokett in den Spiegel schaut (Foto rechts) oder die Dame, die in den Falten ihres Gewandes einen Skorpion sucht, und dabei Körperteile entblößt. Das alles steigert sich noch im 50 Jahre jüngeren Tempel von Halebid, offenbar von Meistern der gleichen Schule. Herrliche Shiva-Porträts sind erhalten, obwohl der damalige König zum Vishnuismus konvertierte. Er tolerierte aber auch die Shivaiten und selbst die Jains. Erst im 14. Jahrhundert tauchten die Moslime auf und zerstörten einen Teil der Hoysala-Pracht. Die einst stolze Dynastie ging unter, aber die prallen Kokosnuss-Brüste der göttlichen Damen in Stein werden bis heute bewundert.
Wir hatten in Hassan, einem stillen Nest, Quartier bezogen, fahren nun durch langgestreckte Dörfer, in denen die Kinder nur lokale Sprachen sprechen und emsige Töpfer ihre Scheiben drehen. Das sind schwere Schwungräder, die immer wieder von Hand in Bewegung gesetzt werden. Es entstehen formschöne Kannen aus braunem Ton.
Aus malerischen Palmen und lichtgrünen Gemüsefeldern ragen jetzt blaue Riesenhallen eines Stahlwerks auf, weiter hinten die rostroten Halden des Eisenbergbaus. Was uns in diese Gegend führt, ist das Ruinenfeld einer riesigen Ruinenstadt – der „Stadt des Sieges“. Sie soll mit einer Million Einwohnern mal die zweitgrößte Stadt der Welt gewesen sein.
Nächste Folge: Die steinerne Kutsche