Die pakistanischen Lkw sind rollende Galerien und ihre Chauffeure die Karawanser der Neuzeit
Die Berge sind erreicht. Himalaya, Hindukusch und Karakorum-Gebirge liegen direkt vor uns. Und vor der endlosen Kette schwer beladener bunter LKWs.
Sie prägen das Bild dieses fernen, heißen und im Norden arg zerklüfteten Landes: die grellbunten, meist hoffnungslos mit Weizen- oder Zementsäcken überladenen Lastkraftwagen. Sie sind mehr als Transportmittel: von ihren Fahrern und Besitzern innig geliebte, sorgsam gepflegte rollende Kunstwerke. Das Auge kann sich kaum satt sehen an der Fülle von Bildern, Ornamenten, glitzernden Symbolen, Ketten, Girlanden, Windmühlen, Kugeln, Plaketten und auch schwarzen Tüchern. Letztere, wie auch die aufgemalten Augenpaare, sollen vor dem „bösen Blick“ schützen. Auch andere Symbole des Aberglaubens kommen vor, vielmehr aber noch die der tiefen islamischen Gläubigkeit, erkennbar an Bildnissen der Moscheen und heiligen Stätten, Interpretationen einzelner Suren des Korans und naiven Traumbildern muslimischer Jenseits-Vorstellungen.
Man mag über Geschmack streiten – diese Autos im Einklang mit den Menschen, die in ihnen fahren, sind einfach schön. Und auch erstaunlich. Denn im Islam herrscht eigentlich das Bildverbot für beseelte Wesen, also Menschen, Tiere und in strenger Interpretation sogar von Pflanzen. Dagegen aber hier dann dieser gestalterische Übermut in grellsten Farben! Pfauen (Inbegriff des Schönen im indisch-pakistanischen Raum), Tauben (für den Glauben), Löwen, Tiger, Adler (alle für Stärke), Antilopen (für Schnelligkeit) oder auch Fabelwesen schmücken die Planken der Laderäume, Feldherren oder Politiker blicken weitsichtig hinab auf die Straße, sogar Panzer und Raketen drohen protzend, und immer wieder Herzen, Blüten, Rosetten, Ornamente. Manches ist gemalt, anderes aus gestanzten und geprägten Blechen aufgeschraubt, umschaukelt von Ketten, Stäben und Medaillen.
Eine große Zunft von Truck-Künstlern hat sich herausgebildet, ohne einen Anspruch auf elitäre Meisterschaft zu erheben. Ihre Werke sind für die Straße gemacht, im besten Sinne Volks-Kunst, die den Stolz eines Berufszweiges trägt, der direkt von den Karawanenführern herrührt und nicht weniger Gefahren ausgesetzt ist, als jene Männer, die einst die Wüsten ungeschützt durchstreiften. Heute treibt sie der Leistungsdruck, die Ware schnell und unversehrt ans Ziel zu bringen. Viele Stunden müssen sie fahren ohne Pausen, Tage und Wochen auf Tour sein mit ihrem Truck, auf Straßen mit engen Kurven, steilem Gefälle, überhängenden Felsen und fast stetigem Steinschlag.
Wir geraten auf dem Weg zu einem Salzbergwerk in einen Tru-ckerstau, entschließen uns, den Weg zu Fuß fortzusetzen. Die Trucker feiern uns als willkommene Abwechslung und zeigen sich als fröhliche, aufgeschlossene Leute. Viele Fotos entstehen, Händedrücke, immer wieder freundliches Schulterklopfen. Sechs Kurven abwärts sehen wir die Ursache des Staus. Ein LKW hat die enge Biegung nicht geschafft und sich überschlagen. Alle helfen, die Ladung zu sichern. Das Fahrerhaus ist platt, die Leute konnten sich retten.
Panik? Keine Spur. Allahs Wille geschieht. Der brave Mensch handelt, so gut er kann. Wir schauen in fröhliche Gesichter. Keine Spur von Gram oder unterdrücktem Ärger.
Danke Jungs, für eure Freundlichkeit. Und für die herrlichen Farben auf den grauen Straßen der Berge. Wir winken jedem Fahrer, den wir noch treffen, und ernten immer ein Lächeln.