Oma Brigitte Hager zeigt Enkel Jan nach dem Abi Ströbitzer Kindheitsorte.
Cottbus (h.) Brigitte Hager, geborene Delius, ist wieder einmal aus Essen angereist. Diesmal mit Jan, ihrem Enkel, der gerade das Abi gemeistert hat und nach einem sozialen Jahr in Bonn Jura studieren will. Jetzt erforscht er Omas Kindheitsorte und jobbt natürlich gern als ihr Chauffeur.
Auf den kleinen 6×6-Fotos ist nicht viel zu erkennen und längst nicht alle Personen lassen sich identifizieren. Ortschronistin Helga Nattke verweist auf die Stammfamilien und weiß: Irgendwie sind sie alle verwandt, zumindest verschwägert. Brigitte Hager bestätigt es und nennt noch ein paar Namen von Schulfreunden dazu, die hier allgemein geläufig sind.
Aber alles, was da erzählt wird, ist lange her. Die Delius-Familie wohnte in der Fichtestraße, die Jüngeren später in der Mittelstraße. Vater war, wie die meisten Ströbitzer damals, Eisenbahner. Als es auf dem Gleis 1947 zu einer Havarie kam, wurde es brenzlig. Sabotage womöglich! Delius wartete nicht ab, nahm den Handwagen und die Koffer und eilte mit Kind und Kegel zum Bahnhof. „Ich war todunglücklich, weil meine Puppe Gisela nicht mit durfte“, erinnert sich die heute 82-Jährige. Der Zug fuhr Richtung amerikanischem Sektor. „Ein Bauer fing uns ab, wies uns den Weg und warnte vor den Russen im Wald“, erinnert sich Brigitte Hager. Alles ging glatt. Die Familie kam nach Hannover, dann nach Essen. Vater arbeitete erst in der Zeche, später wieder bei der Bahn.
Ihr neues Leben war zunächst nicht einfach, erinnert sich die Ströbitzerin, und immer war da das Heimweh. „Wir lernten Hunger kennen, den es zuhause nie gegeben hatte, denn die Verwandten in Zahsow oder Ströbitz hatten Gärten und Felder, einige auch kleine Landwirtschaften.“
Noch immer wohnen die Delius-Hagers in Essen. Die Großeltern mütterlicherseits folgten ihnen 1953. Der Kontakt zur Heimat ist nie abgerissen. Immer wieder, auch zu DDR-Zeiten, besuchte Frau Hager Verwandte und Freunde in Cottbus-Ströbitz, wohnte bei ihnen, verfolgte die Veränderungen, schickte Päckchen. So blieben die Geschichten aus der Kindheit wach, die Erinnerungen ans Baden im Schacht, an die Plinse in der Steinteichmühle, an den warm-würzigen Fisch aus der Räucherei gegenüber, an die Streiche und Unglücksfälle der Jungen aus der Schulklasse.
Enkel Jan findet das alles ganz spannend. Es ist eine ganz persönliche Lektion zum Thema Flucht und Vertreibung mit positivem Ausgang. Er schaut sich das Wohnhaus in der Fichtestraße und die Grundstücke der Bekannten in der Hauptsraße an, hört von den Traditionen, die hier lebendig sind, sieht die schöne Umgebung mit Omas „Schacht“, neben dem inzwischen ein etwas komfortablerer Badesee entstanden ist. Während Oma noch frühstückte und sich mit Bekannten traf, hat er sich das Ströbitzer Flugplatzmuseum angeschaut und war beeindruckt, was ein Verein hier zustande gebracht hat. In den wenigen Tagen hat er auch schon einiges in Cottbus gesehen, kennt die Straßen im Zentrum und findet das hier ganz attraktiv. Er hört, dass es hier eine Uni gibt – wenn auch nicht mit juristischer, aber demnächst medizinischer Fakultät. Er erfährt, dass statt der fauchenden Dampfloks aus Urgroßvaters Zeit demnächst ICE-Züge in Cottbuser Werkhallen stehen und das es einen viel, viel größeren See als den Ströbitzer geben wird. So erweist sich die Reise in die Vergangenheit vielleicht als eine Idee für die Zukunft.
Wer weiß…
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