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Kommentar: Der Staats-Bankrott

Einige Menschen erinnerten sich in dieser Woche an Ereignisse vor 35 Jahren. Im Oktober 1989 brodelte die Volksseele in Städten wie Leipzig, Plauen, Dresden und Berlin. In Cottbus und Umland, der Energie- und Textilregion, in der gut verdient wurde und sich auch kulturell allerhand regte, blieb es vorläufig still. Doch dort, wo sich Menschen in ihrer Kreativität deutlich eingeschränkt fühlten – im Bezirkskrankenhaus, im Theater, in der Kirche – zündete der Funke der friedlichen Revolution. Allein durch Mundpropaganda – die Medien duckten ab – kam es am 30. Oktober, einem Montag, zur Versammlung von 20.000 Menschen. Die Schauspielerin Cornelia Jahr sprach besänftigend zur aufgewühlten Masse. Alle gingen zum Demonstrationsplatz vor der Stadthalle und hörten sich Reden von Sprechern der Erneuerer, aber auch von eitlen Leuten aus den Hinterbänken der Verantwortlichkeit an.

An den folgenden Montagen wiederholten sich diese Demonstrationen, während im engsten Berliner Zirkel der SED-Führung der offizielle Staats-Bankrott ratlos analysiert wurde. Mit Krenz war nach Honecker die bestmögliche Fehlbesetzung der Spitze gefunden worden, und so endete die zweite Republik in Schabowskis gestottertem Schlusssatz: Die Mauer ist auf. Überall, auch hier in Cottbus gab es Rücktritte, dann aber bald einen irrationalen Freudentaumel. Kohls Versprechen blühender Landschaften und das 100-D-Mark-Geschenk für jeden brachten ein kluges Volk, das fleißig, aber unter falscher Flagge erfolglos gearbeitet und zuletzt mutig aufbegehrt hatte, zum Kuschen. Dem Staats-Bankrott folgten großes Plündern, tiefe persönliche Abstürze und nur langsames Besinnen. Was auf den Demos gefordert worden war, erfüllte sich schnell: Reisefreiheit, offene Grenzen, Entmachtung von SED und Stasi, Meinungsfreiheit, keine Gängelei. Und doch versammeln sich seit Jahren wieder Tausende und rufen „Wir sind das Volk? Was ist schief gelaufen in dieser ersehnten deutschen Einheit? J.H.

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