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Anmerkungen zur Cottbuser Inszenierung der Wagner-Oper „Tristan und Isolde“

Catherine  Foster (Isolde) und Bryan Register (Tristan)
Per LED: Liebesleuchten im Rauschiff. Der Liebestrunk, vorn in der Mitte, hat gewirkt. Tristan und Isolde erstrahlen mittels kunstvoller Hightech-Kostüme, im Hintergrund der Sternenhimmel, der sie später aufnimmt. Im Bühnen- und Kostümbild von Philipp Fürhofer / Hannah Barbara Bachmann erklingen bezaubernd die Stimmen von Catherine Foster (Isolde) und Bryan Register (Tristan). Regie führt Stephan Märki, musikalische Leitung GMD Alexander Merzyn. Fotos: Marlies Kross

Cottbus. Im (fast) völligen Dunkel erklingt gleich zu Beginn des Vorspiels der leitmotivische, legendär gewordene Tristan-Akkord. Die Cellisten und Holzbläser wissen, wie all die großartigen Musiker dieses Orchesters, ihre Noten auswendig und folgen dem leuchtenden (!) Dirigentenstab des Meisters am Pult. GMD Alexander Merzyn führt sie in eine Musik, von der ihr Schöpfer Richard Wagner nach dem Rausch der Komposition selbst sagte: „Wie habe ich sie nur machen können!?“ Das Werk sei, bezogen auf den Text, ein laut erklingendes Schweigen. So jedenfalls zitierte vor der Cottbuser Premiere Urenkelin Nike Wagner ihren bewunderten Ahnen. Und sie verhehlte nicht ihre Begeisterung für diese Arbeit des nun Cottbusers, Stephan Märki, mit dem sie eine lange künstlerische Zusammenarbeit in Weimar verbindet.
Märki hat gemeinsam mit dem Bildkünstler Philipp Fürhofer und der Kostüm-Designerin Hannah Barbara Bachmann eine phänomenale Lesart für Wagners spätromantisches musikdramatisches Wunderwerk gefunden. Er hat die Meereshandlung, den todessüchtigen Liebesrausch, ins Weltall verlegt. Das Paar, das niemals Gott anruft, weil es sich selbst göttlich genug ist, verschmilzt am Ende, selbst zu Sternen geworden, in der galaktischen Unendlichkeit. Das gelingt musikalisch wie bildkünstlerisch, wenn auch auf Messers Schneide an der Kante des Kitsches, meisterhaft. Das Publikum jubelt – auch wegen dieser waghalsigen Entführung in himmlische Sphären, vor allem aber wegen der großartigen Stimmen in diesen glühenden musikalischen Farben.
Die Opernwelt betrachtet Wagners schwer aufführbare „Tristan und Isolde“ als Ausnahmestück. Der Meister selbst hat die Oper nach einem persönlichen Liebeserleben als zweitweise Befreiung aus den ihn ermüdenden „Niebelungen“ gesehen. Stephan Märki schlägt einen gedanklichen Bogen zu der Cottbuser Inszenierung von Reuscher/Morgenstern (mit Rosa Steurich als Isolde, dem bulgarischen Heldentenor Spas Wenkoff als Tristan) von 1989 und empfindet den Ruf nach Freiheit. In diesen berauschenden Drogen-Traum von Freiheit bricht in der Geschichte aus dem irischen frühen Mittelalter die Realität – das Sterben des Helden, der einen ganzen Akt lang, des dritten nämlich, auf seinen Beistand wartet, die Sterbehilfe durch seine liebende Isolde. In seinem Wahn sieht er (durch die großen Fenster- des Bühnen-Raumschiffes) die Raserei nächtlicher Autobahnen, Symbol der Zeit- und Schwerelosigkeit. Wie schön ist des doch am Ende, die Welt loszulassen – diese, wieder so bedrohlich gewordene Welt.
An „Tristan und Isolde“ kann sich nur wagen, wer, abgesehen vom tragenden Konzept, in der Lage ist, die Partien gültig zu besetzen. In Cottbus begeistert in der Titelrolle die britische Sopranistin Catherine Foster. Die einstige Hebamme sang in ihrem künstlerischen Aufstieg im Nationaltheater Weimar alle Jugendrollen und wechselte hier auch ins dramatische Fach als Brunhilde, die sie seit 2013 in allen Inszenierungen in Bayreuth singt. In entrückter Glut erfüllt ihre Stimme das bezauberte Haus. Welch ein Genuss!
Die gewaltige Aufgabe des Tristan obliegt dem von der Wagner Society New York geförderten Welttenor Bryan Register, dem in seinem Leiden und Hoffen im schier ewig währenden dritten Akt mit dem darstellerisch herausragenden Cottbuser Bariton Andreas Jäpel ein getreuer Kurwenal zur Seite steht.

Der Verzweiflung nahe, müht sich Kurwenal um Tristan, seinen sterbenden Herrn. Großartig verkörpert und stimmlich gestaltet von Andreas Jäpel aus dem Hausensemble.

Als Isoldes Vertraute debütiert hier in der Partie der Brangäne die Berliner Wagnersängerin Annika Schlicht, vom Publikum als die glückliche Überraschung des Abends gefeiert. Als weiteres Cottbuser Ensemblemitglied ist Nils Stäfe in der Rolle des Melot zu erleben. Mehr als Schaf denn als Hirte ist Hardy Brachmann ausgestattet, der kaum zu sehen, als Stimme des Hoffens aber doch gut zu hören ist.
An der Grenze vom Traum zur Realität steht als König Marke der volumige Bass von Dimitry Ivashchenko, eines Russen aus Novosibirsk, der auf allen großen deutschen und vielen internationalen Bühnen zuhause ist. Bisweilen an den Fenstern der Raumfähre, in die auch nächtlicher Wald und dämmernder Morgen einfallen können, schauen die Sänger des Opernchores, den Christian Möbius einstudiert hat.
Nach fünfeinhalb Stunden (incl. zwei langer Pausen) endet dieser unvergessliche Opernabend mit langem Beifall, ja, standing ovations gleichermaßen für alle Sänger und Sängerinnen auf der Bühne, für ein kreatives Regie- und Ausstattungsteam und ganz besonders für ein hervorragendes Orchester, für das sich Alexander Merzyn ohne Anzeichen von Erschöpfung verbeugt. Zur Geschichte des Werkes gehört nämlich auch, dass schon zwei Dirigenten während (!) seiner Aufführung gestorben sind. Dass die Musik in Cottbus, das gemessen an dieser Aufgabe, nur ein „kleines“ Orchester unterhält, gelingt, gehört für die vielen von außerhalb zugereisten Wagnerianer zu den großen Überraschungen des Abends.
Am 11.2., 4. und 7. 3. sowie am 27. und 30. Mai 2023 gibt es weitere Vorstellungen. J.H.

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