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Belebend wie bester Wein

Michael Wilhelmi und sein Team überraschen mit Monteverdis „L’Orfeo“.

Orfeo (Daniel Foki) und Euridice (Ketevan Chuntishvili, Mitte) können sich nicht mehr dauerhaft finden. Rechts Rahel Brede, links Chormitglieder. Foto: Marlies Kross

Cottbus. Es wird früh gestorben und viel gelitten in dieser wohl ältesten aller Opern. „L’Orfeo“, ein moderner Mythos wird von Claudio Monteverdi (1567-1643), untertitelt das Programm zur Cottbuser Uraufführung . Die erstaunlich lebendige Musik dieses frühesten Werkes der Gattung „dramma per musica“, die der „Maestro di capella“ am Hofe von Mantua, der Kunststadt in der Lombardei, vor mehr als 400 Jahren schuf, schmeichelt unserem Ohr wie etwa bester alter Wein der Kehle des Kenners. Meister Michael Wilhelmi, seit 2008 angesagtester Komponist, Pianist, Arrangeur und Opernregisseur an deutschsprachigen Bühnen unterwegs, hat sich, unterstützt von Librettistin und Regisseurin Claudia Meyer, des Werkes angenommen und neue Musik, teils bis hinein ins Jazzige, hinzugefügt. Die deutschen Texte, die nun im Wechsel mit den italienischen erklingen, sind Autoren entlehnt, die sich bis in die jüngste Vergangenheit mit dem unvergänglichen Orpheus/ Euridike-Thema auseinandersetzten. Mittels hier kongenial eingesetzter Videotechnik (Video René Liebert, Bühne und Regie Claudia Meyer) trägt sich ein gleicher tragischer Verlust wie im Urtext – dort per Schlangenbiss – auf einer Landstraße als Verkehrsunfall zu. Der unfassbare plötzliche Tod, der Verlust eines geliebten Menschen, wird in tiefer Verzweiflung zu Abschied von Licht und Sonne. Die Macht des Leidens bleibt, daran hat aller ziviler Fortschritt, auch der in der Technik der Musik, nichts geändert, im Einzelschicksal groß und fast unbeschreibbar gewaltig. Wer könnte übersehen, dass dieses Kunstwerk atemberaubend den aktuellen Zustand unserer Gesellschaft mit ihrem lähmenden Defizit an Gemeinschaft, allzu oft auch Abschied von geliebten Menschen, reflektiert. Hier auf der Opernbühne gelingt diese Beschreibung in Worten, aber noch vielmehr in den Bildern und dem erhabenen und erhöhenden Klang dieser schmerzhaft-schönen Musik. Johannes Zurl leitet die Uraufführung am Pult, Christian Möbius hat den Chor mit reichen Aufgaben in der Unterwelt, nun endlich wieder in der Szene singend, einstudiert.
Im Mittelpunkt steht ein ratloser und am Ende irrational handelnder Orpheus des Daniel Foki. Der junge ungarische Bariton kommt vom Opernstudio der Komischen Oper Berlin und gehört seit dieser Spielzeit zum Cottbuser Ensemble. Er füllt seinen Schmerz mit großem, wehen Klang und bleibt dabei in tastender Gestik der Schatten seiner selbst. Er verliert die wieder gefundene Geliebte, um sie doch ewig zu behalten.
Ketvan Chuntishvili, ebenfalls seit dieser Spielzeit im Cottbuser Ensemble, leiht ihren gütig-warmen Lied-Sopran der geliebten Euridice, die, festgehalten von den unheimlichen (Chor-)Kräften der Unterwelt, flehend agiert. Die Musik und auch der Text entfernen sich hier vom altitalienischen Original. Es gibt schrille Töne und die deutliche Diskrepanz zur (gegenwärtigen) Oberwelt. Den strengen Plutone singt Philipp Meyer, Ulrich Schneider den Cartone. Als wandelnde Kommentatorin tritt Rahel Brede mit ihrem vertrauten Mezzosopran besonders wirkungsvoll auf. Dirk Kleinke (im Programmzettel verdruckt) und Thorsten Coers singen als Hirte und Geist. Als Soloinstrumente erklingen die Jazz-Trompete (Paul Brody), Gitarre (Dan Baron), der Zink (historisches Blechblasinstrument, Roland Wilson, Thomas Friedlaender) und diverse Tasteninstrumente, die Komponist Michael Wilhelmi selbst spielt.
Im trotz Corona fast vollen Haus toste der Jubel. Eine Sternstunde der Cottbuser Oper! Die nächste Vorstellung ist leider erst am 13. Januar 2022 zu erleben. J. Heinrich

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