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Cottbus: Apokalyptische Bilder

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Anmerkungen zu Jo Fabians ‘Antifaust’-Installation

Weitgehend kommt Jo Fabians überbordende Installation „Antifaust“ ohne Worte aus, nicht aber ohne Musik. Szenenfoto mit den Musikern Chris Hinze (l.)) und Lars Neugebauer sowie dem Ensemble mit Statisterie Foto: Marlies Kross

Cottbus Es erfüllt, wie erwartet, viel Getöse die Bühne, denn kein Geringerer verabschiedet sich mit dieser Installation. „Es gibt noch fünf Vorstellungen, dann ist Sense“, postete Jo Fabian dieser Tage.
Es eilt die Zeit; nun sind es nur noch vier: 4. April, 2. Mai, 3. und 26. Juni. Dann ist Sense – mit „Antifaust“ und mit Jo Fabian in Cottbus. Jedenfalls in der Position des Schauspieldirektors. Nicht wenige, die sich die jüngste Installation antaten und (weil sie rein akustisch den dichten Text im biblischen und goetheschen Duktus nur lückenhaft aufnahmen) Jo Fabians Stück im Programmheft nachlasen, wünschen sich ihn gelegentlich als Regiegast nach Cottbus zurück. So wie er hier schon 1989 bis 1994 wortkarg und gedankenschwer Tanztheater choreografierte (u.a. „To Play Or Not to Play“ 1989, „Fish on The Beach“ 1991), kam er im ANTIFAUST nach der Pause auf die alleinige Sprache grausig-gewaltiger Bilder und eindringlicher Musik (z.B. der Formation „Sandow“) zurück. Beeindruckend.
Premiere hatte das Projekt am 29. Februar, und es fiel auf, dass viele junge Zuschauer die Lücken füllten, die ein offenbar zurückhaltendes Premieren-Stammpublikum zuließ. Den „Faust I“ hatten Fabian und sein Berliner Dramaturg Jan Kauenhowen Ende November  satirisch zerlegt, ihn als satyrhaftes Ungeheuer vor ein stürzendes Kreuz geworfen. In dessen Nähe findet sich Faust als Knecht einer apokalyptischen Weltenmühle nun wieder. Noch immer liegt das Kreuz schräg im Raum, nun, seiner holzfarbenen Hülle beraubt, als profaner Gittermast, auf dem Mephisto, zum wirkungsunfähigen Lucifer verkommen, Kettenzügel schüttelt und alle Dekadenz unter sich wie Brausepulver aufsteigen lässt. Der gealterte Erzengel hängt machtlos, am Ende auch blind, über allem.
Die anonymisierten „Stimmen“ verhandeln Weltgeschichte von der Bronzezeit über sumerische Zivilisation, frühen Buddhismus und dessen aramäischen Propheten Jesus. Faust, der qualvoll die Drehbühne mit dem Gestell der Existenzen im Kreise schiebt, getrieben von dumpfen Trommelklängen, kommt weiterhin schlecht weg. Ignoranz, Arroganz, Egoismus und Skrupellosigkeit werden ihm als „Navigationsfigur“ deutscher Abgehobenheit bescheinigt. Er sträubt sich, will den Bühnenlauf anhalten, doch vergebens. Fabians Absicht verharrt nicht in kleinbürgerlichen Studier- oder Poussierstuben – er rechnet mit Abrahams Söhnen ab, und es scheint, als sei Ahasver, der Ewige Jude, unterwegs und klage Gottes Kumpanei mit Lucifer an, der, wie sollte es auch anders kommen, am Ende den Engel umarmt.
Nichts erfüllt in diesem Faust-Kommentar die klassischen Publikumserwartungen. Faust (Axel Strothmann) und Mephisto (Boris Schwiebert) hätten auch von guten Tänzern oder geübten Komparsen gegeben werden können; sie haben keine Silbe Text in den zweieinviertel Stunden. Der Weimarer Dichterfürst wird abgestraft in einem Komplott mit dem zynischen Friedrich Nietzsche. Michael von Benigsen, Thomas Harms, Matthias Horn, Jan Kauenhowen (der Dramaturg), Maxine Kazis, David Kramer, Lucie Thiede, Susann Thiede, Annegret Thiemann und Jörg Trost bleiben anonyme, meist panische „Stimmen“ und Figuren, Lisa Schützenberger leuchtet still als Engel, Lara Feith, Ariadne Pabst und Emma Seeber wirken im Video mit. Unermüdlich erzeugen Chris Hinze und Lars Neugebauer im tiefen Kern des einstürzenden Domes dumpfe Musik, die alles Geschehen umklammert und ein fassungsloses Schweben erzeugt. Mit der Livekamera turnt konzentriert David Kasperowski durch die Gestänge, fängt Gesichter, manchmal Fratzen oder Schweißperlen ein, die, unmittelbar auf mehrere mit der Bühne kreisenden Bildflächen geworfen, verfremdete Nähe erzeugen.

Diese Technik in Perfektion (Livevideoschnitt Ron Petraß) wird zum künstlerischen Mehrwert, zumal ohne sie der Zuschauer ausgeschlossen bliebe vom dramatischen Innenleben dieses Bauwerks. Auch diese Bühne schuf mittels begabter Werkstätten Jo Fabian selbst. Die Kostüme, in der  Zeit der Nazarethener angesiedelt, entwarf Pascale Arndtz, Jan Isaak Voges produzierte ergänzende Videos, etwa jenes, das noch nach dem Schlussbeifall auf dem Eisernen Vorhang Geothes Faust, damit es auch keiner vergisst, nochmals verreißt, diesen Versager, der an Gretchens Liebe scheitert und im Nichts verschwindet.
Ein vollständiger Faust I, dann ein transparenter Faust II hätten dieser Bühne der anspruchsvollen Provinz gut getan. Aber das hatte Jo Fabian natürlich nicht im Sinn. Er hat Seins geliefert. Und damit viele begeistert. Nicht alle. So ist das halt auf dem Theater. Und damit Sense. J. Heinrich
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