Im Dorf Telouet hoffen die Bewohner auf die Rückkehr der Herrscherfamilie.
Unser Weg setzt sich fort auf spektakulärer Strecke entlang der Hänge des Ounila Tals im Hohen Atlas. Tief hinab führen die Serpentinen, dann wieder hoch hinauf. Uns begegnen Bauern mit schwer beladenen Eseln oder Maultieren, aber auch Laster, stark überhängend mit Stroh beladen. Sonst ist die excellent ausgebaute Straße immer völlig frei für uns. Wie schön. Dörfer gibt es überall verstreut, oft auch nur Wohnstellen mit wenigen Lehmhäusern, die wie Schwalbennester am Hang kleben. Bei Kasbah-Tadla, einem Festungsstädtchen überqueren wir eine 400 Jahre alte Steinbogenbrücke. Die Großstadt Beni Melall umfahren wir, auch Marakesch steuern wir später nur zum Auffüllen unserer Lebensmittelvollte an.
Zuvor haben wir uns mit den prächtigen Blüten der Wilden Birnen auf dem Tichka-Pass (2 260 m) dem Sturm ausgesetzt und das Panorama nebst einem „Berber-Omlett“ (Ei, Tomate, Zwiebel, gut gewürzt aus der Tajine) genossen. Abwärts zweigen wir nach Telouet ab, das noch immer 1 870 Meter hoch, aber in weniger schroffem Gebirge liegt. Nach der Bergtour haben wir Lust auf Tee und bekommen den im eigentlich touristisch gut entwickelten Dorf auch schnell, ebenso einen englischsprachigen Führer. Das Dorf war die Heimat des berühmten Thami El Glaoui, der hier geboren ist und einen Prachtbau hinterlassen hat, der im letzten Jahr noch zu besichtigen war. Das Erdbe
ben vom 8. September 2023 hat im zugesetzt. Der Eingang und eine Mauerkrone brachen zusammen, aber innen sei alle Schönheit erhalten, erzählt uns Achmed, der die ganze Geschichte kennt. In ihren älteren Teilen diente die riesige Kaphba als Station für Handelskarawanen. den jüngeren Teil mit deutlich schlossartigen Strukturen baute Glaoui erst im 20. Jahrhundert.
Er war zu Reichtum gekommen und im Gegenzug für Asyl, das er dem in Schwierigkeiten geratenen Sultan Moulay Hassan ermöglicht hatte, erhielt er große Macht südlich des Hohen Atlas. Als er später mit den französischen Kolonialherren paktierte, nannte sich El Glaoui gar “Pascha von Marrakesch”. In der Kasbah von Telouet hielt er glänzend Hof, stattete die Räume reich aus und empfing prominente Gäste aus aller Welt. 1 000 Menschen haben in diesem Schloss gelebt und gearbeitet, allein 40 Köche waren beschäftigt. Als Marokko frei wurde und Mohamed V. als König zurückkehrte, leistete El Glaoui in Demutsgeste Abbitte, do er verwand den Absturz nicht. „Er ist am Stress gestorben“ sagen die Berber hier, noch im Jahr 1956 nach dem Abzug der Franzosen.
Die Berber dieser Gegend bezeichnen sich bis heute als Glaoui-Leute, und dass Mohamed VI. die Kashba an die in Rabat und den USA lebenden Erben rückübertragen hat, gab ihnen Hoffnung. „Das sind sehr reiche Menschen“, gibt Achmed die Volksmeinung wieder. „Würde die Kashba erhalten, könnte die ganze Region blühen.“ Doch die hierfür auch zuvor geringen Chancen haben sich mit dem Erdbeben dramatisch verschlechtert. Die Not nagt an den Dorfruinen, unter denen fünf Menschen den Tod fanden, viele verletzt wurden, ohne Obdach waren.
Wir verabschieden uns herzlich und Achmed schickt uns unglaublich schöne Bilder aus edlen Salons mit hell leuchtenden Zellji-Fliesen, mit Safran und Hennafarben fein bemalten Zerdenholz-Decken im Harem, und im Kino und anderen Räumen zu. Nach einem halben Jahrhundert Leerstand wie eben verlassen!
Unsere Bergstraße wird enger, sie klammert sich an Felswände über Canyons, wie sie in Amerika nicht dramatischer, nur besser vermarktet sind. In der Tiefe grünt es dunkel, oben windet sich unser Pfad über 300 Meter Steilwand um die Felsen bis endlich ein Plateau zwischen zwei Schluchten Entspannung verspricht. Hier machen wir fest zu einer stürmischen Nacht. Zwei Jungs aus Belgien teilen sich den Platz gern mit uns.Anderntags müssen wir die steilen Serpentinen hinunter zum Oued (trockenen Fluss) Onila. Knifflige Kurven bringen uns bis fast zur Talsohle, und wir erreichen Ait Benhaddou, ein Ksar (befestigtes Dorf) aus mehreren Kashbas. Die Anlage kam 1987 in die UNESCO-Liste und wird stramm vermarktet, unter anderem für Historien- und Wüstenfilme, die in den Studios im zehn Kilometer entfernten Quarzazate entstehen. Orson Wells drehte hier schon in den 1950ern „Sodom und Gomorrha“, und bis in jüngere Zeit folgten einige Blockbuster. Wir nehmen zur Kenntnis, dass auch diese Kashba wie viele mehr El Glaoui gehörte, stehen dann aber auch in der sehr modern angelegren Filmstadt Quarzazate vor verschlossenen Museen – wegen des Erdbebens.