Der Diamer Bashar Damm staut den Indus und beendet die Stromsperren.
Wir folgen dem Karakorum-Highway durch tief eingeschnittene Täler. Die nach links abzweigen, führen nach Afghanistan. Bergauf geht’s in Richtung China.
Glatter Asphalt und Holperpiste wechseln jetzt. Wir spüren förmlich das Beben und Zucken dieses „jungen“ Hochgebirges. Mittags erreichen wir den Punkt, wo der indische Subkontinent vor 55 Millionen Jahren auf den eurasischen knallte: rechts die waagerechten Gesteinslinien, links die senkrechten. Die schroffe Wand steht vor uns, wie ein gefrorener Urknall, rundum steile Gebirge, Gletscher zwischen den Bergen und gelber Ginster in der Flußebene.
Wo das Gestein zu feinstem Sand zerrieben liegt, haben Goldgräber ihre Zelte aufgeschlagen. Sie kommen im Sommer aus der Stadt und hoffen steinewaschend auf etwas mehr Erlös, als im mühsamen Basargeschäft.
Gischtsprühend stürzen an den Straßenkehren Wasserfälle aus großer Höhe, überspülen die Straße und fallen weiter in die Tiefe. Das sind die natürlichen Autowaschanlagen oder Spielplätze der Dorfjungs.
Etwas abseits der Straße finden wir auf rotbraunen, von gleißender Sonne gehärteten Felsen buddhistische Malereien. Wächter der vorislamischen Seidenstraße haben hier zum Schutz der Karawanen gesessen und sich die Zeit vertrieben. Stupas, Tiere oder Schriften haben sie gekratzt, zu finden an vielen Felsen in diesen bizarren Schluchten.
Allerjüngsten Ursprungs sind weiße Markierungen im gelb-roten Fels gegenüber. Die senkrechten zeigen den Ansatz des künftigen Diamer Basha Staudamms, die waagerechten den künftigen Wasserstand. Der pegelt hoch über unserer Straße, auch über den Orten und sogar über der Stadt Chillas mit 35 000 Einwohnern. Sie wird im gewaltigen See versinken, den die Chinesen hier im Indus-Bett aufstauen. Mit 272 Metern Höhe entsteht der höchste Betondamm der Welt. Er fängt neun Milliarden Kubikmeter Wasser ein, und in den unterirdischen Krafthäusern, die schon in den Fels gesprengt sind, werden 4,5 Gigawatt Leistung installiert. Dann endlich sollte es genug Elektrizität geben für Pakistan. Heute sind tägliche Stromsperren üblich, und wir haben uns an Licht vom Dieselaggregat bis maximal 22 Uhr schon gewöhnt. Wenigstens alle Akkus lassen sich so auffüllen.
Wir fahren also die kommenden gut 50 Kilometer „im Stausee“. Hoch über uns entsteht schon die neue Straße; unsere wird gerade noch so befahrbar erhalten – ein erhebliches Problem, bei fast täglichen Erdbeben, darunter zweimal jährlich solchen der Stärke fünf, und Erdrutschen durch heftige Schneeschmelzen.
Wir erreichen das Gebiet Gilgit, müssen erneut Formulare ausfüllen und bekommen verstärkte Schutztruppen – jetzt gar mit aufgepflanztem Maschinengewehr auf dem Transporter.
Die schlammüberspülte Straße hinter Chillas ist wieder trocken und leidlich passierbar. Uns öffnet sich ein herrlicher Abendblick auf den Nanga Parbat, Traumziel ganzer Bergsteigergenerationen, auch „Schicksalsberg der Deutschen“ genannt. Herbert Buhl war 1953 als erster oben, kehrte mit schweren Erfrierungen zurück. Wir hoffen, wenigstens sein Basislager zu erreichen…
Demnächst in dieser Reihe: Im Tal tausender Aprikosen