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Memory – GROSSE LAUSITZER BIOGRAPHIEN: Wilhelm Riedel-Fabrikant und Wohltäter der Armen

Es ist schon merkwürdig, Ehrenbürger in Cottbus kann nur sein, wem diese Würde nach 1990 verliehen wurde. So beschlossen es jedenfalls die Stadtverordneten. Das mag ja aus politischen Gründen (oder soll man es Schwäche nennen?) erklärbar sein. Ehrenbürger aus Nazi- und DDR-Zeiten waren entsorgt. Doch welch Undank gegenüber Persönlichkeiten wie Max Grünebaum oder Wilhelm Riedel! Glücklicher Weise wirken großherzige Taten, die aus dem Bürger den Ehrenbürger machen, weit über den Tag hinaus. So ist auch der Name Wilhelm Riedel in Cottbus unvergessen.

Wilhelm Riedel im Alter von 80 Jahren. Nachdem er in Pension getreten war, blieben dem Rastlosen noch 28 Jahre für ein beispielhaftes soziales Engagement. Die Stadt Cottbus dankte es ihm mit der Ehrenbürgerwürde.

Kindheit in Cottbus

Am 13. Juni 1829 wurde Wilhelm Riedel als Sohn eines Cottbuser Tuchappreteurs geboren. Zur Erklärung: Mit der Appretur wird das vom Weber hergestellte Tuch veredelt. Der Vater starb bald und die Mutter blieb mit fünf Kindern zurück. Für Wilhelm, mit neun Jahren der Älteste, war die Kindheit vorbei. Er musste fortan die kleinen Geschwister versorgen und hauswirtschaften, denn die Mutter brauchte ihre Zeit für Näharbeiten, die einzige Geldquelle. Diese schweren Kinderjahre mit Not und Elend wurden prägend. Schon damals träumte er von einer eigenen Fabrik und von der Hilfe, die er dann anderen geben konnte. Um die Lage der Familie zu verbessern, heiratete die Mutter ein zweites Mal, doch der Stiefvater, ein Nagelschmied, verstarb wenige Jahre nach der Hochzeit. Auch mit einem dritten Mann hatte die Mutter wenig Glück.

 

 

 

 

 

 

 

 

In der Formerei des Eisenhüttenwerkes Peitz hatte Riedel für einige Jahre seinen Betrieb untergebracht. Seine gut gehenden Geschäfte wurden ihm aber durch kleinstädtisches Gezänk verleidet und er verließ Peitz.

Lehr- und Wanderjahre

Die Familie war nach Forst verzogen, dort war die Miete geringer als in Cottbus. Wilhelm Riedels Lage verbesserte sich allerdings nicht, im Gegenteil, es kam noch schlimmer. Schon mit zwölf Jahren musste er mit Kinderarbeit zum Unterhalt beitragen. Sein gewöhnlicher Tag sah so aus: Aufstehen um vier Uhr, Arbeitsbeginn war fünf Uhr, dann um acht Uhr in die Schule, häufig mit noch leerem Magen, nachmittags ging es wieder in die Fabrik, gearbeitet wurde, bis alles Angefallene erledigt war. Lange konnte der Junge das nicht durchhalten, auch war der Wochenlohn von 1,25 Mark für die Familie zu gering. Deshalb wurde er mit dreizehn Jahren von der Schule freigestellt und war nun der Versorger der Familie. 1843 trat Wilhelm Riedel eine dreijährige Lehrzeit an. Bei der Firma Ortmeyer in Forst wurde er Tuchappreteur, wie schon sein Vater. Wer Meister werden wollte, musste auf Wanderschaft gehen. So zog also auch unser Wilhelm nach Wittenberg, Berlin, Brandenburg, Küstrin, Stettin, Greifswald, Schwerin und schließlich Hamburg. Wieder in der Heimat, ging es rasant voran. Mit 21 Jahren wurde er Werkführer, mit 24 Meister.

 

 

 

 

 

Die Riedelstiftung “Selbsthilfe” in Cottbus in einer Ansicht von 1910. Der ganze Komplex wurde Ende der 1920er Jahre stark verändert, als die Stadt hier ihr Rentnerheim errichtete. Erst unlängst konnte der Arbeiter-Samariter-Bund hier ein neues Haus hinzufügen.

Fabrikant in Peitz

Riedel gründete in Peitz sein erstes Unternehmen, denn in der Stadt wurden zwar gute Tuche gewebt, die mussten aber zur Appretur nach Cottbus geschafft werden. Diese Lücke schloss er 1853 mit einem Betrieb, der zunächst in der Stadt selbst untergebracht war. Bald konnte er größere Räume auf dem Gelände des Hüttenwerkes mieten, der Appretur fügte er eine Spinnerei hinzu, damit das nötige Garn auch in Peitz hergestellt werden konnte. Nach Peitz kam Wilhelm Riedel schon als Familienvater. Er hatte sich mit Auguste, Tochter des Forster Glasermeisters Stamm, verheiratet. Bald waren zehn Kinder geboren, aber nur ein Sohn erreichte das Mannesalter. Ein Unglück – eine Feuersbrunst vernichtete den ganzen Betrieb – konnte Wilhelm Riedel wohl abwehren, gegen aufkommenden Neid und Mißgunst der Peitzer aber war er machtlos. Deshalb verließ er 1861 Peitz.

 

 

 

Seine Berliner Firma errichtete Wilhelm Riedel an der Köpeniker Straße. Der Gebäudekomplex war in vier Abschnitten erbaut worden, besonders wichtig war die Nähe der Spree wegen des weichen Wassers für die Färberei.

Das Lebenswerk

Wilhelm Riedel ging nach Berlin, hier gedieh das Geschäft prächtig. Im Alter von 60 Jahren konnte er seinem Sohn Richard, der in England das Tuchgewerbe erlernt hatte, den Betrieb übergeben, nicht ganz freiwillig, erst ein schwerer Unfall erleichterte den Weg in den Ruhestand. Aber, von wegen Ruhestand, jetzt konnte er darangehen, ein Versprechen, das er einst seiner Mutter gab, zu erfüllen – Hilfe für Arme und Waisen. Nicht von den Kapitalien seiner Fabrik, sondern von den Ersparnissen seines Altenteils installierte er alsbald mehrere Stiftungen. In der damaligen Bellevuestraße in Cottbus, heute Bautzener Straße, kaufte er die Grundstücke 44 und 45 und errichtete darauf den “Riedelstift für vaterlose Waisen.” Das ganze Anwesen machte er 1896 seiner Vaterstadt zum Geschenk. In den kleinen Wohnungen lebten 12 Witwen mit 56 Kindern. Weitere Stiftungen folgten schon bald: 1902 eine Aussteuerstiftung, dann eine “Stiftung für achtbare Arme”, die je 12 alten Männern und Frauen eine sorgenfreie Unterkunft bot, und als Krönung 1907 das “Werkstättenhaus der Riedelstiftung Selbsthilfe”, in dem armen Handwerkern und Gewerbetreibenden äußerst kostengünstige Arbeitsräume geboten wurden. Die Stadt Cottbus dankte dem Stifter schon 1903 mit der Ehrenbürgerschaft. Als Wilhelm Riedel am 23.01.1916 in Berlin verstarb, hatte seine Vaterstadt ein Ehrengrab auf dem Südfriedhof bereit. Wie schon oben gesagt, Ehrenbürger ist Wilhelm Riedel nicht mehr, jedoch wurde 1993 eine Straße in Sandow nach ihm benannt. Das Alters- und Pflegeheim in der Bautzener Straße wurde zu DDR-Zeiten immer kurz “Riedelstift” genannt. Und als solches führt es nach der Wende der Arbeiter-Samariter- Bund.
Siegfried Kohlschmidt

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