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Guben. Cyrankiewicz-Straße um 1960

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Miniwohnung war Himmel auf Erden / Denkmalgeschützte Häuser wurden 2006 abgerissen / Viel Handwerk
„Diesmal musste ich zweimal hinschauen“, leitet Jutta Pusch ihren Brief ein, löst aber richtig: „Es ist die Alte Poststraße, ehemalige Cyrankiewicz-Straße. Dieses Foto muss aus einer Zeit stammen, wo man noch mit Handwagen alles transportiert hat und es auch noch Schubkarren-Straßenfeger gab.“ Hans Joachim Wagner führt ihre Ausführungen weiter: „Das Paar durchläuft die seit 1950 nach dem polnischen Staatsmann benannte Cyrankiewicz-Straße in Richtung Bahnhof. Rechts hinter ihnen mündet die Kirchstraße ein, von wo aus ich täglich meinen Weg zur Friedensschule vorbei am Gericht, der Hutfabrik, dem VEB Gubener Wolle und der Gärtnerei Kläbsch ging. Ebenfalls rechts im Hof hinter den Bäumen wohnten im Pfarrhaus die Pfarrersfamilie Asse und Killius.
Das große Gebäude ist älteren Gubenern noch als Café Schöneberger bekannt. Nach dem Krieg wurde es verschieden genutzt. Es begann direkt an der großen Neißebrücke mit einem Tante Emma Laden von Frieda Zander (sie hatte immer große Bonbongläser), es folgte ein Lebensmittelgeschäft des Konsum, dann das Fotoatelier Simon, abgelöst durch einen Gebrauchtwarenladen mit dem Spitznamen Amanulla und zum Schluss für kurze Zeit ein Tanzlokal. In einer der oberen Etagen arbeitete der bekannte und geschätzte Zahnarzt Sanitätsrat Buchali, bevor er in die Berliner Straße umzog.“
Werner Koschack fand das Foto im Heimatkalender 1964 und schreibt dazu: „1670 entstand diese Straße. Um 1800 befand sich im Haus Nr. 5 (nicht im Bild) die Gubener Post, die Tuchfabrikant Lehmann um 1850 kaufte und mit einem Nachbargebäude eine der ersten Tuchfabriken errichtete. So erhielt die Straße ihren Namen. Im Haus Nr. 2 (vor Café Schöneberger) befand sich das Farbengeschäft Max Säuring und Stempel-Koritter.
Das Haus Nr. 2a war ein Wohnhaus mit vielen Familien auf engstem Raum. Die beiden Häuser gehörten bis 1945 der Stadtgemeinde, nach dem Krieg der KWV. Anfang 2006 wurde deutlich, dass die noch unter Denkmalschutz stehenden Häuser zum Abriss vorgesehen waren. Mit der Gestaltung der Neißeterrassen gab der Denkmalschutz grünes Licht zum Abriss.“
Achim Großer schildert am Telefon: „Die Gebäude habe ich noch so kennengelernt. Meine Eltern haben oft Farben und Tapeten bei Säuring gekauft. In dem Zollgebäude im Erdgeschoss hatte ein Händler mit dem Spitzname ‘Amanulla’ mit allen möglichen Dingen als An- & Verkauf gehandelt. Was Amanulla bedeuten sollte, weiß ich bis heute nicht.“
Einen Werkstattbesuch schildert Helga Steglich am Telefon: „Ganz links ist ein kleines Stück vom Haus zu erkennen: Das war die Werkstatt vom Tapezierer und Dekorateur Eichhorn. Dort hatte mein Vater gearbeitet. Meine Schwester und ich hatten ihn als Kinder dort oft besucht. Hier wurden Liegen, Sofas, Chaiselongues, Sessel und Stühle aufgearbeitet. Besonders spannend fand ich, wie der Stoff zuerst mit Nadeln festgesteckt und dann mit einer Rundnadel angenäht oder mit kleinen Nägeln und einem interessanten Hammer befestigt wurde. Wir waren ganz stolz auf Vater, wenn er dort arbeitete. Auch zuhause hat mein Vater unsere Möbel erneuert und gut gepflegt. Ich besitze noch zwei alte Stühle aus dieser Zeit, die mein Vater selbst bezogen hat. Das Haus mit der Polsterei war sehr niedrig, große Menschen mussten den Kopf einziehen, um sich an dem Türrahmen nicht zu stoßen. Ein Geschäft gab es nicht, man ging direkt in die Werkstatt hinein. Ich weiß, dass der Sohn von Herr Eichhorn noch in Guben lebt, vielleicht meldet er sich auch noch dazu.“
Wahrhaft himmlische Erinnerungen weckte das Foto bei Sigrun Lohse. Sie erzählt: „Als wir 1963 vom Studium kamen, haben wir in der Cyrankiewicz-Straße 2a gewohnt. An dem Haus war mal eine Erinnerungstafel an den Hauptmann von Köpenick angebracht. Wir haben dort in der obersten Etage in einer Ein-Raum-Wohnung gewohnt – Arbeits-, Wohn- und Schlafzimmer. Über den Flur hatten wir eine Küche mit Abstellkammer. Die Toilettenbenutzung war eine Etage tiefer mit Plumpsklo. Für uns war die Wohnung der Himmel auf Erden, wir haben ja auf die Neubauten gewartet, die gerade entstanden.“

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