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Mein Sonntag in Revier: Pauls Traumjob auf der weltgrößten Maschine

Ein Spremberger lernt das Bergeversetzen und baut sein Haus und seine Zukunft bei der Kohle.

Keine bewegliche Maschine dieser Welt ist größer als die F60 mit ihren angeschlossenen Eimerkettenbaggern. Einen davon will der Spremberger Paul Steffin demnächst selbst steuern, 30 Meter über dem Welzower Kohleflöz. Wie damals der singende Baggerpoet Gerhard „Gundi“ Gundermann…

Spremberg/Welzow. Wir hatten Glück, dass wir Paul noch trafen. Er schließt schnell noch den C-Schlauch vom Wassertank an den Sanitärwagen, dann klettern wir über viele Eisentreppen und durch Gänge hinauf zu seinem neuen Arbeitsplatz. „Hier ist es“, sagt er, schiebt den dick gepolsterten Sitz nach hinten und stellt sich zwischen die Pulte. Ein klein wenig Triumph spricht aus dem Blick des hochgewachsenen jungen Mannes. Er registriert das Staunen an diesem außergewöhnlichsten Ort, den ein Flachland-Lausitzer erklimmen kann. Wahnsinn! Diese Sicht. Diese Technik. Diese klaren Strukturen. Und vor allem: diese kaum fassbaren Dimensionen! Paul Steffin (29) steht im Begriff, Baggerführer auf dem Eimerkettenbagger 1308 zu werden. Sein Stolz schwingt in diesem Moment im Raum, und dennoch gibt es etwas, was ihm wichtiger scheint und von diesem außerordentlichen Ort vorerst fernhält: Sein Töchterchen kam in Hoyerswerda zur Welt. Paul geht in Elternzeit. Gut so, denn das eine hat mit dem anderen sehr viel zu tun.

Kraftwerk Schwarze Pumpe. Da quillt hauptsächlich Dampf in den Himmel, kein dunkler Rauch mehr, der Gundermanns „Engel überm Revier“ die Sicht trüben könnte. 800 Windräder müssten errichtet werden, um die hier installierte Leistung von 1600 Megawatt zu ersetzen. Die würden zwar keinen Dampf mit CO2-Anteil ausblasen, aber die Landschaft stören, Tiere gefährden und bei Flaute kein einziges Watt Strom ins Netz geben | Fotos: Autor

Auf dem zweiten Weg
Die Frage stellt fast jeder Besucher: Das also ist so ein Bagger, wie ihn Liedermacher und Rockmusiker Gundermann steuerte? „Ja“, sagt Paul, „seiner war noch nicht so modern ausgestattet, aber der Sitz sah auch so aus.“ Dieser Polstersitz, der auf einer Schiene vor und zurück gleitet, scheint so wichtig zu sein, wie die Lederpolster an den Pultkanten, auf denen die Arme liegen. Denn der Raum bebt und rüttelt ununterbrochen, so, wie ein Flieger in starken Turbulenzen. Kaum ist es möglich, Notizen aufzuschreiben. Paul lacht: „Du spürst die Kraft, und das Rumpeln nimmst du nach der Schicht mit nachhause.“ Er breitet seine Arme aus und bebt ein bisschen: „So geht das weiter.“
Mag sein, dass auch Gundermann davon erzählte. Singen wie sein prominenter Vorgänger will Paul nicht. Aber gewisse Gemeinsamkeiten gibt es doch. Für beide war der Bergbau die zweite Wahl nach der Uniform. Während jener von der NVA-Offiziersschule geext wurde, hat der Spremberger als Panzersoldat mehrere Bundeswehrstandorte absolviert und ging als Oberfeldwebel von der Truppe. Ihn zog es zurück in die Lausitz.

Viele Knöpfe und Monitore für die Eimerketten, die Abraum schürfen, der jenseits des Flözes sogleich zu neuer Landschaft verkippt wird. 80 000 Kubikmeter je Schicht, erklärt Paul Steffin

Solides Auskommen
Und warum nun in den Bergbau? Paul schaut uns etwas mitleidig an. Greenhorn auf dem Bagger. „Es gibt hier sonst so gut wie keine Auswahl an Arbeitsplätzen mit guter Bezahlung.“
Es ist im Revier kein Geheimnis, dass die Mitarbeiter der LEAG sehr gut verdienen. Die Leag schürft nicht nur Kohle und schafft Landschaften, sie gibt auch ihren gut 8000 Mitarbeitern solides Auskommen, und darunter mehr als 600 Auszubildenden eine Zukunft.
Die Lehrzeit für Industriemechaniker dauert dreieinhalb Jahre. Paul hat aufgedreht, beste Ergebnisse erreicht und nach drei Jahren abgeschlossen. Die Entscheidung für den Bagger fiel ihm leicht, weil das Weiterlernen seinem Lebensplan entspricht. Seit zwei Monaten läuft er jetzt mit auf dem Führerstand, irgendwann wird er allein hier walten. „Vielleicht studiere ich auch noch mal, wer weiß…“

Diese Dimensionen…!
Wir haben uns eine Viertelstunde umgeschaut und unterhalten. Ununterbrochen schaben die Riesenschaufeln an der langen Kette graubraunen Sand aus dem Lausitzer Grund. Abraum, nichts als Abraum. Über uns arbeiten sich auf zwei Ebenen zu je 20 Meter Höhe Schaufelräder ins Land, unten glitzert schwärzlich bis dunkelbraun die Kohle. Etwa zwölf Meter dick ist dieses 2. Welzower Flöz (es gibt noch zwei weitere in 130 und 180 Metern Metern darunter, das obere erste wurde vor 1900 abgebaut), etwa 100 Meter Deckgebirge liegen darüber. Natürlich ist die Flöz-Oberseite nicht eben wie eine Tischplatte. Sie hebt sich und fällt wieder. Paul muss beachten, dass er nicht zu tief schürft, und Kohle vergeudet. Bleibt er zu hoch, haben Planierer viel Mehrarbeit, ehe der Bodenschatz frei liegt. Heute „flutscht“ es, kein Findling muss ausgespuckt, keine Havarie behoben werden.
80 000 Kubikmeter Erde wird sein Bagger in dieser Schicht wohl bewegen. Was hier rund 17 Millionen Jahre ruhte, gleitet in wenigen Minuten auf Bändern über einen halben Kilometer nach jenseits, stürzt in die Tiefe, um sich zu neuer, nachhaltiger Landschaft zu fügen. Wir sehen durchs Fenster vier wasserfallgleiche Abwürfe. Aus dem anderen Fenster fällt unser Blick auf mehrere Parallel-Gleise. Weit hinten steht unser Jeep. Unglaublich: Dieser Koloss aus Förderbrücke und zwei Kettenbaggern, zusammen 22 000 Tonnen schwer, hat sich während dieses Gesprächs auf 1 300 Rädern fast 200 Meter weit bewegt! 10,5 Meter legt diese größte rollende Maschine der Welt pro Minute zurück. Manchmal – auch das ist Lausitzer Alltag – fahren Teile davon quer durchs Land und über Flüsse. Pauls Bagger 1308 kam im Jahr 1994 von Klettwitz ins Welzower Südfeld und dockte an die Förderbrücke F 60 an. Die wird gern mit dem Eiffelturm verglichen. Läge der daneben, wären die Pariser traurig. Er reichte der Brücke kaum bis zum jenseitigen Gleisfuß; die F 60 ist eineinhalbmal so groß, wie das Weltausstellungs-Wunder von 1889.

Noch gut zu tun
Hier in Welzow hat die Brücke mit ihrem Baggergeschwader und den stolzen Leag-Bergleuten im aktuell 27 Quadratkilometer großen aktiven Bergbau noch gut zu tun. Bis 2033 reicht diese Kohle, mit dem Teilabschnitt 2 ginge es bis 2043 oder ‘44.
Paul Steffin weiß, dass er für sichere Stromversorgung arbeitet. „Ich kenne niemanden, der hier gegen die Braunkohle ist“, sagt er, und erzählt von seinen Bauplänen im nahen Spreewitz. Abriss und Neubau – es entsteht ein wunderschönes Zuhause für die jetzt dreiköpfige Familie.
Der Weg zum Tagebau ist kurz und beinhaltet das ganze Programm des Lausitzer Bergbaus, das nicht am Brennkessel endet. Vielmehr setzt es sich mit der Rekultivierung fort, die praktisch mit dem Modellieren unter den Fällen der F 60 schon beginnt. Große Teile des Tagebaus Welzow sind der Landwirtschaft schon in hoher Qualität zurückgegeben.
Am Wege passieren wir eine Baustelle: 100 Meter tief entsteht hier ganz natürlich eine Tontrennwand, die den Wasserhaushalt des nahen Seenlandes sichert. Falls sie mal nicht mehr nötig sein sollte, kann sie leicht durchbrochen werden und die Landschaft bleibt unverletzt, nur in diesem Falle viel schöner als vorher, zurück.
Und Paul Steffin aus Spreewitz? Der hat dann vermutlich einen neuen gut bezahlten Job. Wer Giganten steuert, beherrscht alles andere sowieso.
Jürgen Heinrich

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