Mit der Geige zum alkoholkranken Lehrer
Die Torsten Hennig schrieb uns im Auftrag seines Großvaters, der viele Ereignisse als Zeitzeuge erlebt hat: „Ich hatte wieder einmal das Vergnügen, mich mit meinem Großvater ausführlich über das historische Bild zu unterhalten, und ich hörte letztendlich auch gefesselt zu, welche Erinnerungen das Bild in ihm hervorbrachten. Das Bild stammt aus dem Jahr 1926 und zeigt das Hochwasser der Neiße und Lubst in der Grüne Wiese, heute ul. Piastowska. Das Hochwasser selbst hatte seiner Zeit große Schäden in den überfluteten Straßen von Guben angerichtet, auch wenn das auf dem Bild in den Gesichtern der Leute nicht so erscheint.
Im Hintergrund ist das Haus in der Grünen Wiese 3 zu sehen, ehemals Hospitz ‘Bethel’, mit einer Buchhandlung im Erdgeschoss. Inhaber des Hauses und der Buchhandlung war ein Herr Ernst-Wilhelm Röpke.
Mein Großvater selbst war zum gezeigten Hochwasser im Jahr 1926 noch nicht geboren, dennoch erkannte er mehr als eine Handvoll von Personen auf dem Bild und konnte diese namentlich zuordnen. Dazu gehören unter anderem sein Vater, vorn sitzend mit Krawatte, Otto Schulze sen., rechts daneben auf einer Kiste sitzend dessen Bruder Gerhard Schulze, unmittelbar darüber in der hinteren Reihe (rechts) halb versteckt mit Mütze, Siegfried Schulze. Quasi sind die genannten Personen mein Urgroßvater und meine Urgroßonkel.
Was ich selbst beim ersten Hinsehen nicht erkennen konnte, ist das Automobil links im Bild. Nach den Erzählungen meines Großvaters gehörte dieser PKW damals der Familie Schulze und wurde zur Zeit des Hochwassers in den Bereich der höher gelegenen Straße abgestellt. An der Vorderseite des Pkw stehend, ganz links im Bild, ist der Großvater meines Großvaters, Herr Georg-Otto Schulze, als Besitzer des Pkw zu sehen. Im Fahrzeug selbst sitzt der Werkstattmeister der Firma Kohlen- und Brennstoffhandel G.-O.Schulze. Das Bild selbst stammt auch aus dem Familienarchiv der Familie G.-O. Schulze, da das Geburtshaus meines Großvaters, Grüne Wiese 16, nicht weit entfernt steht und die auf dem Bild zu sehende Häuserfront zu seinen Kindheitserinnerungen gehört.“
Horst Neumann weiß: „Zu dem abgebildeten Haus in der Grünen Wiese, das ‘Hospitz-Bethel’ möchte ich folgendes sagen: Im Jahre 1942/43 sollte ich, damals zehnjährig, auf Wunsch meiner Mutter das Geige spielen erlernen. Für die Ausbildung fanden wir Herrn Hugo Hansen, einen Orchestermusiker vom Stadttheater. Dieser wohnte im genannten Haus. Des Öfteren kam es vor, dass ich mit meiner Geige vor der verschlossenen Wohnungstür stand und Herr Hansen war zu hören: ‘Ich bin krank, komme morgen oder übermorgen wieder’. Wie es sich jedoch herausstellte, kam diese ‘Krankheit’ wohl von einer durchzechten Nacht. Und dies kam, wie schon gesagt, sehr oft vor. So nahm ich meine Geige, die übrigens in einer Zuckertüte steckte, unter den Arm und ab ging es nach Hause. N
ach einer gewissen Zeit, da die ‘Krankheit’ überhand nahm, war dort meine Ausbildung beendet. Die Geigenzuckertüte (Verpackungstüte für Großhandel) hatte meine Mutter wohl von dem Lebensmittelgeschäft Herbrich in der in der Berliner Straße – heute Blumenhaus Veronika – erworben. Dadurch bleibt das ‘Hospitz-Bethel’ in meiner Erinnerung!
Und von Bärbel Koschack erfahren wir: „Neben dem Hospitz-Hotel Bethel hatte der Fotograf Herbert Rosenthal sein Atelier, welches noch heute dort steht. Er könnte auch der Fotograf des Bildes sein.“
Vielen Dank allen Ratefreunden für die Erinnerungen!
Ein weiteres der Bilderserie, das uns Dorothea Zegelin zusandte, zeigt den weiteren Straßenverlauf. Links ist erneut die Hospiz-Buchhandlung zu erkennen
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