Die letzte Israelitin der Stadt war, wie schon ihr Vater, Schaffner bei der Straßenbahn:
Cottbus (Hnr.) Als die Stadt 1988 ein Gedenken an jene Pogromnacht vorbereitete, hieß es, es gebe 50 Jahre nach dem schlimmen Brand gar keine Juden mehr hier. Kalle Schlodder ging zu Oberbürgermeister Erhard Müller und sagte: „Doch, doch. Da sind noch Erna und Bernhard Etis. Die wohnen in der Lobedanstraße.“
Erna wurde dann zum offiziellen Zeremoniell ins Hotel „Lausitz“ eingeladen. Bernhard konnte solche Termine nicht mehr wahrnehmen. Schon lange nicht. Er war hinfällig aus Bolivien zurückgekommen. 1960 holte Erna ihn vom Bahnhof ab. Sie hatten aus der Jugend Kontakt und sich immer geschrieben. Nun kam er zurück. Heimat ist Heimat. Sie heirateten und waren noch Jahre, trotz seiner Leiden, glücklich.
So jedenfalls hat es Karl-Heinz Schlodder in Erinnerung. Er war „das Jungchen“, eng vertraut mit Erna. Beide arbeiteten als Schaffner bei der Straßenbahn. „Manchmal tat sie geheimnisvoll wegen ‘feinem’ Besuch aus Berlin: Nimm doch heut’ meine Tour, Kalle. Bitte.“ Sie musste nicht betteln, sie gab ihm 20 Mark für die Stunde, und so war es ein Festtag für Kalle, wenn der Rabbi aus Berlin – so nimmt er an – nach Cottbus kam.
Ernas Vater, August Thomas aus der Burgstraße 8, war Straßenbahnschaffner, und sie wollte das auch werden. Doch erst stellte sie Post zu und half manchen Juden in der Altstadt. Sie kam von Haus zu Haus, konnte manches vermitteln. Kalle Schlodder: „So traf sie auf Bernhard und wusste um seinen Verbleib.“ Ja, sie kannte auch die Justizrats Hammerschmidt. „‘Die hatten schicke Jungs’, hat sie mir manchmal zugeflunkert“, erzählt Kalle. Aber das war eine andere Kategorie damals. Die Thomas und dann auch die Etis waren einfache Leute. Erna fühlte sich als Mädchen zur Synagoge hingezogen, obwohl sie nie drin war.
Ab 1965 fuhr die Straßenbahn ohne Schaffner. Erna arbeitete jetzt in der Kantine, Kalle in der Werkstatt. „Sie besorgte mir oft die ‘F 6’, die unterm Ladentisch weggingen.“
Bernhard starb 2007, Erna 2010. Sie war, meint Kalle, gläubig bis zum Schluss. Eine schlichte, arbeitsame Frau. Was ihr wirklich wichtig war – das Gebetsbuch, das Umlegetuch, den Hanukka-Leuchter und sogar Bernhards argentinischen jüdischen Notkalender, nur 7 x 11 Zentimeter groß, hat sie Kalle gegeben. Ihr Hochzeitsfoto auch. Zum Bewahren.
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