Forst: Abriss mit feuchten Augen

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Zu sehen ist die Mühlenstraße nach dem Krieg

Verlust des Altstadtteils in den 70er-Jahren weckt negative Erinnerungen:
Dieter Nowotnick schreibt: „Das ist die Mühlenstraße in Forst nach dem Krieg. Der Fotograf steht auf der Ecke, wo heute der Weg am Mühlgraben entlang zur Straße am Haag geht. Die Mühlenstraße endet am Marktplatz. Rechts die Häuser wurden alle abgerissen und Plattenbauten errichtet. Rechts war alles zerbombt, dort war der Augustplatz, von wo aus hinter den Häusern die Gerberstraße  bis zur Lindenstraße entlang ging. Man sieht über dem Eingang zur Löwenapotheke noch den Löwen auf dem Sockel sitzen. Daneben befand sich das Geschäft von Julius Kind. Ganz vorn befindet sich  jetzt ein Parkplatz. Rechts davon wurde ein Konsumkaufhaus gebaut. Heute ist dieses ein Wohnhaus. Die linke Häuserseite wurde den Plattenbauten geopfert und diese nun wiederum einem Ententeich.“
Auch in Wolfgang Schenk werden Erinnerungen wach: „Dieser Stadtteil war für mich ein hochinteressanter geschichts-trächtiger Abschnitt, in welchem ich mich sehr gern aufhielt. Zwischen Stadtmühle und Uferstraße, Kaiser-Wilhelm-Straße (Max-Fritz Hammer-Straße) und der Viktoriastraße (Virchowstraße) war seit meinem 12. Lebensjahr für mich das eigentliche Forst. Vor allem die schmalen Gassen ost- und westwärts der Stadtkirche hatten es mir besonders angetan. Hier wohnten auch viele ältere Menschen, welche, wenn man sie öfter gesehen hatte, auch einige Minuten ihrer kostbaren Zeit für ein Gespräch mit einem so wissensdurstigen Jungen hatten und ein wenig von der Straße, Gasse, den Häusern und den Bewohnern berichteten. ‚Frieda, komm mal schnell, das Bergsche Neugierchen ist wieder da‘, rief man in der Salzgasse, wenn man mich erblickte. Mit den Jahren wurden wir manchmal sogar richtige Freunde. Hätte ich mir doch damals all das hochinteressante Gesagte aufgeschrieben. Zum Rätselbild: Das Schild Tuch-Noack fällt mir zuerst auf. Noacks gehörten zu den Geschäftsleuten, welche für die Forster nach dem Krieg ihre Ware anboten. Stoffe und alles Zubehör vom Garn bis zum Knopf wurden angeboten. Wir waren schon Kunde, als sie ihr Geschäft noch auf der Südseite des Marktes am Ende der ausgebrannten Ruine hatten. Jede Frau versuchte in dieser schweren Zeit, für sich und ihre Lieben – soweit sie es konnte – Bekleidung selbst zu schneidern. Wir zählten auch zu diesen Glücklichen, die eine Nähmaschine besaßen. Meine Mutter, gelernte Putzmacherin, konnte auch gut nähen, meine spätere Frau, gelernte Damenschneiderin und Näherin bei Hensel & Co., beherrschte es perfekt. Sie überraschte mich öfter mit einer neuen Blume oder Kleid aus eigener Produktion. Auf der rechten Straßenseite ist es vor allem die Löwen-Apotheke und Denstedts Farbenladen und Frau Rothkegels Hutgeschäft, die alle drei Erinnerungen in mir wachrufen. Bei Denstedts kauften wir besonders nach dem Krieg Farben und Tapeten ein, wenn mal wieder Wände, Türen und Fenster der Wohnung eine Erneuerung benötigten. Ein Teppich oder Läufer wurde auch manchmal mitgebracht. In der Löwenapotheke holten wir unsere Medikamente, wobei es mir besonders der Goldene Löwe angetan hatte. Bei Frau Rothkegel gab es, wenn manchmal keine Kundschaft im Laden war, einen kurzen Einkaufsstopp zu einem Gespräch unter Hutmacherinnen. Ganz vorn war, so glaube ich, ein Wäschegeschäft mit Wäscherei. Als ich in den 70er-Jahren vom Abrissplan dieses Altstadtteils erfuhr, hatte ich feuchte Augen. 1945 schon, mit der Flucht und Vertreibung aus Berge die Heimat verloren und nun auch noch diesen Stadtteil. Das tat weh. Leider hat jeder politische Machtwechsel unserer Stadt schweren Schaden zugefügt. Nach dem Kaiser und Hitler kamen die Kommunisten und Sozialisten, die viele historische und wertvolle Gebäude abrissen und nach diesen nahm uns die Treuhand die wirtschaftliche Grundlage. Letzter Wechsel brachte zwar die Freiheit und die deutsche Einheit, führte aber auch zur Vernichtung der Bausubstanz der Plattenbauten.“
Viola Schiemenz schreibt: „Auf der rechten Seite des Fotos ist die Löwen-Apotheke zu erkennen. Einzelne Einrichtungsgegenstände kamen nach dem Abriss dieser Gebäude etwa 1979 in das Apotheken-Museum nach Cottbus. Die Mühlenstraße, in früheren Zeiten auch Mühlengasse genannt, ist wohl die älteste Straßenbezeichnung von Forst. Hier befindet sich auch die Stadtmühle. Im Jahr 1620 zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges ereignete sich in der Mühlengasse eine Kampfhandlung. So vermeldet es die Chronik. Hier steht: ‘Die Sachsen drangen zum Euloschen Tore ein und nachdem sie die erste Salve gegeben hatten, warf das einquartierte Fußvolk die Gewehre weg und versteckte sich wie es konnte. Man glaubte sich sicher und hatte nicht einmal die beiden Zugbrücken aufgezogen. Die Reiter kamen größtenteils davon, indem sie zum Mühlentore hinaussprengten. Der Rittermeister von Koppith, der seinen Rüstwagen mit einem Felleisen mit Gelde vermisste, ritt in die Stadt zurück und wurde bei diesem Wagen in der Mühlengasse erschossen. Es blieben um die 40 und über 400 wurden gefangen genommen. Auch die angefüllten Rüstwagen und viele Pferde wurden den Sachsen zur Beute’, zitiert Viola Schiemenz.
Thomas Methe weiß: „Zu den Geschäften in der Mühlenstraße gehörten die Löwen-Apotheke, das Schuhaus Elias, Böttcherei Bohla sowie die Fischbratküche und links Tuch-Noack. Ganz früher gehörte auch das kirchliche Brauhaus zum historischen Standort.