„Legenden“ thematisierten mittags das Problem, das sich nachmittags auf der WM-Leinwand zeigte.
Cottbus (hnr.) Soviel sportliches Edelmetall und soviel Fußballruhm vereinen sich selten auf einer Bühne. Moderator Jens Uwe Hoffmann, einst selbst „Goldmacher“ als Trainer im Frankfurter Radsport und in der Cottbuser Leichtathletik, heute Präsident des Frankfurter Radsport-Clubs, hatte zum Stadtfest erstmals einen reinen Sport-Talk aufgelegt. Rad-Sprinter Lutz Heßlich (4 WM-Titel, 2 x olympisches Gold) „sprintete“ sofort zum thematischen Kern. Wie steht es heute mit dem Leistungswillen (den die Fußballer wenige Stunden später in Sotschi so kläglich vermissen ließen)? In seiner direkten Art warf Heßlich ein: „Wir waren alle Idioten – im positiven Sinne. Wir haben immer volle Kelle gegeben, bis zum Geht-nicht-Mehr. Das vermisse ich heute. Jedes Wehwehchen wird zur Ausrede…“
Es gab Beifall. Den „Bäckerjungen aus Lauchhammer“ kennt hier fast jeder. 1976 war er Juniorenweltmeister und ließ sich wenig Zeit mit dem Aufstieg; bereits ‘77 ging er als Noch-Junior bei den Erwachsenen an den Start und wurde EM-Dritter!
Die Sportstadt Cottbus (deren Repräsentaten sich übrigens solche Auftritte nicht ansehen und die vereinspraktisch zweispurig fährt) hat von Bernd Drogan bis Roger Kluge eine Vielzahl an Radweltmeistern unterschiedlichster Disziplinen. Ein vierfacher Weltmeister (Keirin und Teamsprint) und amtierender Europameister im Keirin stand hier neben „Lutze“, dem Fahrradhändler aus der Külzstraße, der sich heute fachlich engagiert, damit „normale“ Radler wirklich körpergerecht ganz gesund unterwegs sind.
Levy hat da ein Martyrium durch: zweifacher Schlüsselbeinbruch, aber kein Gedanke ans Aufstecken. Er schilderte auf der Stadtfestbühne olympische Spannung in Peking (für ihn Bronze) und London (Silber) und das Ringen um die Hundertstel im Sprint. Was in der Leichtatlethik die 100 Meter sind, wird im Radsport über 200 Meter gehetzt. Lutz Heßlichs Bestmarke: 9,98 Sekunden. Levy hat in Cottbus 9,87 geschafft, unter Höhenbedingungen gar 9,56.
Die Fußballer auf dem linken Bühnenflügel kommentieren immer wieder anerkennend. Natürlich kennt man sich. „Lutze“ und Energie-Legende Ralph Lempke sind sich schon beim DHfK-Studium begegnet. „Da bin ich kleiner BSG-Fußballer dem großen Rad-Weltmeister auf den 100 Metern mal davongelaufen. Er lag erst vorn – aber dann hat er paar Monate nicht mit mir geredet…“ Die Runde amüsiert sich, und es folgen noch so manche Schnurren aus den Arenen, aber auch immer wieder Ernsthaftes – speziell, wenn es um Sport und Politik geht. Heßlich: „Sport sollte Sport und Politik Politik sein.“ Ihn hat die sinnleere Vermischung einst hart getroffen: 1980 wurde er Olympiasieger in Moskau, aber es fehlten die Westländer. 1984 zu Los Angeles war er in Höchstform, aber die DDR versteifte sich auf einen Gegen-Boykott.
Und heute? FCE-Mannschaftsarzt Dr. Andreas Koch bedauert: „Hajo Seppelt (Journalist und Dopingexperte) bringt die Politisierung in den Sport. Abgesehen davon, dass Doping im Fußball sinnlos ist, hat das schon dazu geführt, dass eine große Nation aufgrund vollkommen unbewiesener Vorwürfe von der olympischen Teilnahme ausgeschlossen wurde.“
Das Gespräch, leicht radsportlastig, bewegt sich zum Fußball hin. Wieder leitet „Lutze“ mit einem „Respekt-Erlebnis“ über. Er hat mal nach dem Elb-Hochwasser in einem Benefiz-Spiel verteidigt. Vor 30 000 Leuten im Dresdner Stadion „Ich war überwältigt.“ Altstar-Trainer Reiner Calmund hat ihn nach einer eisernen Grätsche vom Platz genommen.
Schon erreicht Nostalgika Uli Nikolinski und Ede Geyer, die Detlef Irrgang und auch Sven Benken formten. Sie standen im Pokalfinale gegen Stuttgart (1997, 0:2) in Berlin auf dem Rasen. Benken spielte rechts hinten neben Hoßmang und Melzig, Irrgang als Sechser in der Mitte. Sven Benken, heute Inhaber einer Fußballschule und Verbandstrainer, ist später (mit Werder Bremen) tatsächlich Pokalsieger geworden. Für Detlef Irrgang – „und ich bin sicher, für unsere ganze Region!“ sagt er – war es ein unvergessliches Erlebnis. „Damals aber nicht das Wichtigste“, sagt er. „Wir hatten alle Kraft auf den Aufstieg konzentriert, und der ist gelungen.“ Cottbus hat von da an 17 Jahre lang in der Bundesliga gespielt.
Ralph Lempke, Energie-Urgestein (bis 1988 273 Spiele, 36 Tore) räumt dem Dreigestirn Stabach/Krein/Geyer (Manager, Präsident, Cheftrainer) den Generalanteil an dem „Wunder im Osten“ ein, spricht aber auch analog jetzt für die Rückkehr in den Profifußball von einem Erfolg vieler Beteiligter – von der Mannschaft über Trainer, Betreuer, Vorstände, Fans, Sponsoren bis hin zur Wäschefrau. „Die 3. Liga ist stark“, sagt „Irre“, der jetzt als Fitness-Trainer in Cottbus-Mitte arbeitet. Aber Sven Benken wirft ein: „Was mich stört ist, dass wir viel über ‘Heldenzeit’ reden, im Verein aber gar keine Traditionspflege stattfindet. Sowas hilft doch, Großes zu stemmen. Lemmi, das wäre doch Deine Aufgabe.“ „Mag sein“, sagt der, „aber ich schaff’ das nicht auch noch. Sponsorenwerbung ist hart genug. Von da kommt der Hauptteil unseres Etats.“ Talkmaster Hoffmann mischt sich ein: „Also Du wirst Dich darum jetzt kümmern. Bleibt denn die Aufstiegs-Mannschaft komplett?“ – „Im Prinzip schon“ erklärt Lempke. „An Streli Mamba (Vertrag bis 2019) gibt es Interesse aus England. Aber da müsste schon ‘ein ordentlicher Schein’ kommen.“
Natürlich endet der Talk mit dem Tipp für das erste Deutschlandspiel in Sotschi. Alle liegen daneben. 2:0 oder 1:0 sind die Vorhersagen. Nur der „Doc“ bleibt bei einem vorsichtigeren 2:2. – Die Stadtfeststimmung war abends nach dem enttäuschenden 0:1 getrübt. Es fehlte ganz klar an „voller Kelle“.
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