Die Reize des Urstromtals überschütten das flache Land mit Stille und heiler Natur. Im Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue, entwässert von zahlreichen Flüsschen, Kanälen und Gräben in Richtung Elbe, liegen Wiesen und bewaldete Flugsanddünen nur noch bei 10 bis 30 Meter über NN. Es gibt mehr Störche als im Spreewald, und im Frühjahr hallen die Rufe der Rotbauchunken weit übers Land, das mal DDR war und seit 1993 Niedersachsen (Amt Neuhaus) heißt. Die schmale Straße führt durch urwüchsigen Buschwald, und irgendwo hier standen vor gut 30 Jahren noch Posten: Halt, Grenzgebiet! Nur wer als Einheimischer oder gemeldeter Gast den Vermerk in den Papieren hatte, durfte in die 5-Kilometer-Sperrzone. Von Cumlose bis nach Boitzenburg bildete die Elbe die deutsch-deutsche Staatsgrenze. Die Landschaft hat das geschont, die Menschen und ihre Orte aber gezeichnet. Das brandenburgische Städtchen Lenzen präsentiert sich als beredtes Beispiel. Mehr als 1000-jährig ist seine Geschichte, begonnen in blutigen Kämpfen zwischen Slawen und Sachsen. Jetzige Häuser sind mehrere hundert Jahre alt, liebevoll restauriert oder verfallend, weil ihre Besitzer 1961, wenn sie „verdächtig wirkten“, gnadenlos enteignet und vertrieben wurden. Das Grenzregime war brutal. Ein Wachturm an der Fähre ist warnendes Ausrufezeichen am Strom: Das nie wieder!
Die Lenzener beleben ihre Geschichte mit Eifer. Brezeltante Grieben (sie verteilte das Gebäck an arme Kinder), die in der Kirche ein 2010 als „Denkmal des Monats“ ausgezeichnetes Epitaph hat, ist sogar als Bronzefigur auferstanden und steht jetzt vorm Rathaus, dessen Uhr nur einen Zeiger hat. Lenzener Eigenart.
Vom Wehrturm der Burg, deren Besitzerin sie dem BUND vermachte, genießen wir den Blick ins Land und einen „Flug“ über die grenzenlosen Auen. Seit 2008 ist der Deich hier um 1,3 Kilometer zurückverlegt worden – Freiheit nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Elbe und deren gelegentlichen Übermut.
Lenzen gehört zu Brandenburg, schräg gegenüber liegt Gorleben im Wendland, Schlagzeilenort wegen des Atommüllrestlagers.
Kurz hinter Dömitz überschreitet die Niedersachsengrenze den Fluss ostwärts, holt altes hannoversches Land heim. Dann streckt sich Mecklenburg-Vorpommern gen Westen, streichelt kurz die Elbe, ehe der Grenzfluss zwischen Schleswig-Holstein und Niedersachsen am Steilufer das malerischen Lauenburg erreicht.
Endlich das Meer
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