FRANKREICH also. Mit dem Fußball hat das unlängst im europäischen Halbfinale nicht ganz geklappt und politisch köchelt’s noch immer. Aber nun lässt Olympia das Land erleuchten. Und ein traumhaftes Reisegebiet war und ist dieses Frankreich sowieso. Das wusste schon der junge (zu einem Viertel französische*) Graf Pückler vor gut 200 Jahren ganz genau. Auf einer Tour zwischen Lyon und Avignon in diesem Sommer hat JÜRGEN HEINRICH in Semilassos kurzweiligen „Jugend-Wanderungen“ geblättert. (IV)
Wir hatten den jungen Pückler in Lyon getroffen, später in Arles und Avignon. Die Flussfahrt auf der Rhone ward ihm ohne all die heutigen Schleusen beschwerlich, und so wanderte er mit Wulffen, seinem Freund, oder ritt auch mal auf einem Esel oder gemietetem Pferd. Die olympischen Nachrichten dieser Woche vom goldenen Reiter Michael Jung hätten Pückler begeistert, trieb er als exzellenter Reiter doch die Vielseitigkeit derart weit, dass er mit dem Pferd in Dresden von der Brücke in die Elbe sprang. So wird es jedenfalls erzählt. An der französischen Rhone vor gut 200 Jahren nutzte er gelegentlich Mietpferde, aber auch Esel oder mal eine Lohnkutsche. Über Marseille und Nizza führte ihn der Weg bald ins italienische Genua, dann Parma und schließlich ins heilige Rom, wo ihn (wie später nochmals in Neapel) „eine große Passion italiänischer Natur“ erfasste, so dass er „außer Liebesbriefe nichts mehr schreiben“ konnte. Abgesehen von einigen Opernrezensionen bleiben dann die letzten der 256 Seiten „Jugend-Wanderungen“ blass und die zuvor kurzweilige Geschichte endet etwas abrupt heimwärts auf dem Markusplatz in Venedig.
Uns hingegen berührten auf der Reise wieder und wieder ganz große Weingeschichten. Vielleicht hat der Graf auch von dieser gehört:
Im Städtchen Beaune gibt es schon seit 1452 das Hotel-Dieu, ein Krankenhaus, das noch bis 1971 Hospital war und heute als Altersheim geführt wird. Ein Rest kann als Museum besichtigt werden und vermittelt einen geradezu aufregenden Einblick in die Krankenpflege der frühen Neuzeit. Begonnen hat alles im tiefsten Elend. Um ihr eigenes Seelenheil bemüht, beschlossen der fromme Nicolas Rolin, Kanzler des burgundischen Herzogs, und seine Frau Guigone de Salins, ein Hospital zu stiften. Sie ließen feinste Architektur, viel Kunst und fürsorgliches Personal – die „frommen Frauen“ – kommen und neben Kaplänen auch Ärzte. Sie stifteten viel Gutes, wenn es heutige Augen auch als roh betrachten. Oft genug waren Amputationen nötig; die Körperteile wurden durch eine Klappe in den Fluss geworfen, der direkt unterm Haus hindurch fließt. Ansonsten gab es die sich leidenschaftlich kümmernden Frauen und viel Gebet. Jeder Leidende hatte immer den Blick zum Altar. So waren und sind die Betten angeordnet.
Manch Dürftiges verbesserte sich über die Jahrhunderte. So gab es seit den 1920er Jahren eine Heizung. Innerlich erwärmten immerzu die Heiligenbilder – sehr kostbare Gemälde! Der Begriff „Palast der Armen“ dürfte also durchaus treffend sein. Das Feinste aber: Das Hospital wird bis heute vor allem durch die Erträge von Weinbergen finanziert, die über die Jahrhunderte durch Erbschaft in seinen Besitz gelangten. Einmal jährlich während der „Drei glorreichen Tage“ findet eine Auktion statt, und wer als Weinhändler auf sich hält, wird hier bieten, meist mit „Sozialzuschlag“. Umgerechnet entstehen dann Flaschenpreise von 250 Euro!
Wer ewig an Wundern zweifelt – hier im Vaterland des Weines finden sie bis heute immer wieder statt.
Einige davon mag auch Graf Pückler erspürt haben, aber für manche Entdeckung, war er wohl einfach noch zu jung. Und er räumt ein, dass seine Aufzeichnungen, die er erst nach 20 Jahren zur literarischen Vermarktung aufstöberte, doch recht lückenhaft blieben. Immerhin hat er schöne Worte gefunden, um eine ganze Menge Nichts zu sagen, so etwa zu Fuß bei Ventour: „Der bezaubernde, immer mit hundert Farben spielende Himmel, dessen sammetartige bunte Wolken oft nur wie zarte durchsichtige Flocken in dem Azur des Aethers schweben, scheint für die Traurigkeit des Landes entschädigen zu wollen, die so selten das Auge durch ein frische Ansicht überrascht…“ Am Wege findet er „große Brombeerhecken, in die sich Mandelzweige und Weintrauben einranken“, die ihm „ein dreifaches Frühstück“ boten.
Sie liest sich unterhaltsam, diese Sprache der ausklingenden Goethe-Zeit. Allerdings drängt sich nach der einen oder anderen Passage die Frage auf: Hat er nun schon vom Heurigen in Frankreich oder erst viel Später beim Niederschreiben der Jugenderinnerungen aus guter Flasche dem gepriesenen französischen Weine zugesprochen?
So oder so – es sei ihm vergönnt und jedem Reisenden empfohlen, es den Autoren gleich zu tun. SCHLUSS
*) zur Erinnerung: Hermann Ludwig Heinrich von Pückler ist 1785 in Muskau geboren. Sein Vater war der Kursächsische Wirkliche Geheimerath Karl Erdmann Graf von Pückler auf Branitz, die Mutter Klementine Kunigunde Charlotte Olympia Luise von Callenberg aus Muskau. Deren Mutter war die Französin Gräfin Olympia von la Tout du Pin. Pückler, ab 1822 Fürst, wechselte 1845 von Muskau (heute UNESCO-Park) nach Branitz. Literarisch nannte er sich „Der Verstorbene“ oder auch „Semilasso“ (der Halbentspannte). In der Seepyramide seines Parks fand er die letzte Ruhe.
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