Anmerkung zur turbulenten Sommerinzenierung „Der eingebildete Kranke“ in der TheaterNativeC.
Cottbus. Auch die Sonntagsbesucher nach der Premiere waren restlos begeistert: „Das Wetter hat gehalten, und dann dieses tolle Stück. Am Ende klingt alles wie Komische Oper“, berichtet Dagmar Herbst begeistert.
Sommertheater und Openair, da schwingt immer Risiko mit. Umso bemerkenswerter, dass sich Gerhard Printschitsch künstlerisch wie auch unternehmerisch im schon 22. Sommertheater an ein ziemlich anspruchsvolles Stück wagt.Und er spielt die Vorlage von Susanne Felicitas Wolf nach dem großen Moliere nicht etwa „vom Blatt“. Nein, im zweiten Teil ufert das Stück lustvoll in eine herzhafte Schlager-Opernpersiflage aus. Das wird dann freches Kabarett von „Du sagtes Ti Amo“ bis Brecht/Weill und „Phantom der Oper“, um schließlich in einer Art Fan-Gesang zu gipfeln nach „New York, New York“, das hier als „Cottbuus, Cottbuus! Ich bin und bleib ein Stück von Dir!“ gesungen wird. Es beben alle Münder und die Augen des Publikums strahlen. Beifall! Beifall!
Herrlich, wenn so Sommertheater endet. Leicht. In gehobener Stimmung für alle. Ein Gläschen darf ja auch jeder trinken zum ausgelassenen Spiel.
Richtig: Es geht um den „Eingebildeten Kranken“ nach Moliere. Gar keine so ungefährliche Sache. Der Autor spielte die Hauptrolle seines letzten Stückes 1763 selbst und – starb in einer der nächsten Vorstellungen im Kostüm! Das war keine Einbildung!
TheaterNativeC hat sich für eine Musical-Adaption entschieden, aber Wolfgang Linnenbrügger muss Molier persönlich erlebt haben. Was der sich krümmt! Was der schreit, stöhnt, leidet flucht und jammert! Das Krankenbett droht zu bersten unter all seinen Lasten. Und wenn er die Phantomschmerzen vergisst und statt des nahenden Todes eine schöne Frau sieht, übertreibt er nicht weniger. Seine tiefen Verbeugungen haben akrobatischen Wert, seine Hinwendung kann sich keiner entziehen. Linnenbrügger lässt nichts aus, was diesen schnittholzsteifen Hagestolz von aller Vernunft entfernen kann. Zu alledem singt er auch noch manierlich, und wenn auch die Töne stimmen, so scheinen sich mit jeder Note die inneren Organe mehr zu verklemmen. Ein eindrucksvoll eingebildeter Kranker.
Linnenbrügger beherrscht die Szene, und selbst die versierte Suzanne Kockat hat Mühe, als dienstbare Toinette mit dem schönen Namen Hurtig die Fäden in die Hand zu bekommen, um von der Apotheke auf die Drogen der Liebe abzulenken. Sie schafft das bei sparsamem Text mit viel gestischem Fleiß. Im Hause Hagenstolz tut sich in Liebesdingen allerlei. Besser: es bahnt oder deutet sich an, natürlich mit Verwechslungen und schönen Missverstädnissen en gros. Besonders aktiv setzt sich Belinda (Lisa Becker) in Szene, die dem Jammeralten Hörner aufsetzt.Sie umgarnt den smarten Doc (Niklas Luft, ein geschmeidiger Intellektueller), den der Hausherr mit seiner Tochter (Mirja Henking) verheiraten will, die allerdings den Hutmacher liebt und dies auch kuschelig spielt. Dieser Hutmacher (Dieter Gericke) übernimmt in der zweiten Hälfte des Musicals die Spielführung. Mit seinem schönen Tenor bringt er weichen Schmelz in die Hektik, und so manche Effekte beglücken das Publikum, so zum Beispiel das Vogelzwitschern, das von hoher Spielebene herab die Geige fabriziert. Die spielt Dieter Gericke jun., dessen Platz sonst neben Pianist Michael Mattusch ist. Das Minimal-Orchester begleitet alle Gesänge live – das macht diese so lebhaft pulsierende Aufführung so authentisch. Zudem hat Dieter Gericke sen., der singende Liebhaber also, der sich wunderbar nach Antons Tochter verzehrt, auch noch die volksliednahen Liedtexte und Noten geschrieben.
Dem ganzen Ensemble – immerhin zehn Darsteller und Musiker – ist eine geschlossene, engagierte Leistung zu bescheinigen. Die Bühne (Ausstattung ebenfalls Gerhard Printschitsch) reduziert sich auf wenige Möbel und eine üppige Hausapotheke. Ansonsten wird der Hof mit seinem Balkon und jedem Geländer-Zentimeter bespielt. Wer zu weit vorn sitzt im Hof, erlebt das Stück phasenweise als Hörspiel. Aber auch da klingt es hörenswert.
Ein Besuch lohnt sich in jedem Fall. Es gibt in der Not durchsichtige Regenschirme. Nächste Vorstellungen sind am 6. und am 7. September, jeweils ab 20 Uhr in der Petersilienstraße. J.Hnr.
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