Region: Die Erbsen köchelten auf dem Herd, als es krachte

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Vor 75 Jahren: Die ersten Bomben fielen südlich vom Bahnhof – Joachim Rohde hat das erlebt

 

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Joachim Rohde, Jahrgang 1938, sah vom Fenster seines Wohnhauses im 3. Stock (W), dass viele Menschen in den Luftschutzbunker (L) rannten. Seine drei Eingänge bekamen Volltreffer, ebenso die großen Häuser (H) zwischen Luther- und Weinbergstraße, von denen nichts blieb. Die Lutherkirche auf dessen Vorplatz der Augenzeuge steht, stand nach dem ersten Angriff in Flammen Fotos: J. Heinrich

 

Cottbus (h.) Es war ein sonniger, frühlingsmilder Donnerstag, jener 15. Februar 1945. 435 Bomber B-17 steuerten Cottbus von Süden her an, warfen 1 064,5 Tonnen todbringende Last auf die Stadt. Geschätzt 1 000 Tote, 2 500 Verletzte, 3 600 zerstörte Wohnungen, 145 kaputte Betriebe waren die Folge. Der Bahnhof und das Krankenhaus erlitten schwere Schäden; hier starben die meisten Opfer, darunter viele Flüchtlinge.
Joachim Rohde, in Fußballerkreisen heute weithin bekannt, erinnert sich genau an den Tag. „Wir wohnten in der Thiemstraße 131, Wohnzimmer- und Kinderzimmerfenster zur Straße. Auf dem Herd köchelten die Erbsen, es ging auf 12 Uhr zu. Aus unserem Blaupunkt-Radio hörten wir, es sei mit einem Angriff auf Cottbus zu rechnen. Mutter lief nach unten, um den Leuten zu sagen, dass sie in den Keller müssten. Ich ging ans Fenster, sah wie gegenüber viele Menschen zu den drei Eingängen des Luftschutzbunkers rannten. Den kannte ich. Vater war mit mir mal in der Grube, als der gebaut wurde.“ Da war Familie Rohde gerade aus Berlin nach Cottbus gezogen. Der kleine Achim wurde 1944 in der Martin-Luther-Schule eingeschult. Vater musste an die Front und kam nie wieder.
„Ich hörte ein Dröhnen, dann wurde ich vom Fenster weg nach hinten in den Raum geschleudert. Ich rappelte mich auf und das Gleiche wiederholte sich. Inzwischen kam Mutter und holte mich nach unten. Im Treppenhaus lagen die Fensterrahmen und Scherben auf den Stufen. Der Keller war voller Menschen. Von Haus Nr. 130 kamen neue hinzu, wir kletterten weiter in Nachbarkeller. Die Zwischenwände bestanden nur aus losen Steinen. So kamen wir auch irgendwie wieder nach oben. Ich sah unsere Lutherkirche brennen, auch die zerstörten Häuser gegenüber, nur das Eckhaus links der Lutherstraße stand, da war der Lebensmittelladen Kasche drin, später Offermann. Unser Nachbarhaus Nr. 130 war durch einen Volltreffer zerstört, da stand nur noch das Hinterhaus.“
Die Bilder haben sich detailreich eingeprägt. „Wir hasteten zwischen all dem Feuer, Rauch und Schreien nach oben in die Wohnung, um das Nötigste zu retten. Überall fehlte der Putz an den Wänden, der Erbsentopf war voller Dreck.“
Die Mutter ging mit ihren beiden Jungen nach Klein Gaglow zur Oma. Noch heute bewegt Joachim Rohde die Frage, was aus den Menschen im Bunker unter der Grünanlage wurde. „Ich konnte das nicht verfolgen, Wir waren ja nicht mehr hier. Ich kann mir nicht vorstellen, dass da jemand überlebt hat.“ Aber Pfarrer Rohde hat später einmal erklärt, man hat die Menschen retten können. Joachim Rohde wohnte noch bis 1962 in der Wohnung, in der er den Luftangriff überlebte. 1952 gehörte er zu den ersten Konfirmanden in der wiedererbauten Lutherkirche.
Heute fehlt die ganze Häuserreihe. „1965 zog Mutter in die Lobedanstraße und dann wurde der breit hingestreckte Neubau hochgezogen, in dem sich heute das Amtsgericht befindet.“ Joachim Rohde erinnert sich noch an Bäcker Weber unten im Wohnhaus, an das Möbelgeschäft im Eckhaus 133, „und gegenüber in der 134, das war die Ecke zur Calauer Straße, da wohnte Ulla.“ Das ist seit 1962 Joachims Frau, aus einer Flüchtlingsfamilie stammend. „Wir haben in der 131 unsere Hochzeit gefeiert und dann sind wir mit dem Wäschekorb in unsere eigenen vier Wände gezogen in der Friedrich-Engels-Straße. Da wohnen wir noch heute.“ Und niemandem wünscht er, das erleben zu müssen, was sich damals zutrug.

 

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Die Thiemstraße im Sommer 1949. Vom Haus Nr. 130 steht nur ein Mauerrest. Das Hinterhaus blieb stehen, ebenso das Nachbarhaus Nr. 131, dessen Wand rechts zu erkennen ist. Hier wohnte Joachim Rohde bis 1962. Foto rechts: die Straßenseite gegenüber, einst die 40er Hausnummern

 

 

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Genau hier, meint Joachim Rohde, war einer der drei Eingänge zum Luftschutzbunker. Im Hintergrund die Martin-Luther-Schule, in die er 1944 eingeschult worden war