Als gestohlen zählt…

kommentar_j_heinrich_thumb_thumb„Baum des Lebens“ wird er mancherorts genannt. Ich erinnere mich gern an den ersten Maibaum, den ich als Kind auf dem Markt meiner sächsischen Kleinstadt erklomm. Der Kranz da oben hing voller Bockwürste, und wer es hinauf schaffte, durfte sich eine pflücken. Damals waren Bockwürste üblicherweise nur auf Lebensmittelkarten zu haben und im HO-Preis fast nicht bezahlbar. Für uns Kinder, jedenfalls für die klettergewandten, war der Maibaum ein Ereignis des Glücks und Vergnügens. Nicht nur wegen der Würste; satt zu essen hatten wir schon alle. Aber der Stolz, die schaukelnde Trophäe erreicht zu haben, machte den
1. Mai zum Festtag.
Heute klettert niemand mehr den Stamm hinauf. Wer weiß, ob’s die Bengels noch könnten. Aber die Begeisterung rund um den Maibaum ist geblieben. Schön, dass in den Stadtteilen und Dörfern solche geselligen Anlässe eine starke Lobby haben. Meist von der Jugend organisiert, unterstützen Vereine und Unternehmen gern die Prozedur, und am Abend treffen sich alle zum Umtrunk, zum Palawern und mancherorts auch zum Tanz.
Aber was, wenn der Maibaum geklaut wurde? Weithin verbreitet und erst in jüngerer Zeit auch hier üblich ist die Geschicklichkeitsprobe, den vorbereiteten Maibaum zu entführen. Aber Achtung: Hierfür gibt es Regeln: Als ehrenwert gestohlen zählt nur ein Baum, der ohne Gewalt (gegen Baum wie Menschen) und unbemerkt über die Ortsgrenze gebracht wird. Wo das gelingt, muss er ausgelöst werden und wird dann mit Hallo und manchmal sogar mit Musik zurück getragen.
Der Spaß dabei ist ähnlich wie der in unseren einstigen Kletterzeiten. JH