Die falsche Aussage vom zerbombten Bahnhof hält sich zäh – unsere Zeitzeugin weiß es besser.
Die Empfangshalle des alten Cottbuser Bahnhofs in einer selten gezeigten Perspektive hat viele Rätselfreunde begeistert. Unsere Leserin Dorothea Fisch aus der Cottbuser Hainstraße hat es regelrecht elektrisiert. Hier erblickte sie ihre Dienststelle von damals. Sie wollte der Redaktion gleich schreiben, doch Nachbarn sagten: Geh hin und erzähle, was du weißt. So kam die 94jährige Dame in das Verlagshaus ihrer Heimatzeitung und berichtete.
„Nach dem Bombenangriff vom 12. Februar 1945 stand ich ganz allein in dieser Halle. Die Glasscheiben waren zerschlagen, Fahrkarten, die Drucker und das Geld lagen verstreut auf dem Fußboden.“ Sie hat alles eingesammelt, abgeliefert und – der Betrieb ging weiter!
Abgesehen von leichten Schäden war das Bahnhofsempfangsgebäude unversehrt geblieben. Frau Fisch erinnert sich: „Es war an diesem Tag am Schalter nicht viel zu tun, aber es herrschte eine eigenartige Hektik, ein Hin und Her, denn unter der Halle war die Meldestelle. Es waren unendlich viele Flüchtlinge unterwegs. Ich half Bekannten aus Guben, die nach Lübben wollten. Sie standen auf dem Berliner Bahnsteig. Dann kamen die Bomber, es glitzerte am Himmel, die Lutherkirche brannte schon, wir drängten zum Tunnel, die Blechschilder der Werbung fielen uns auf die Köpfe, und wir verloren die Übersicht. Irgendwann hörten wir die Sirenen. Das war das Ende des Alarms. Wie gesagt – benommen fand ich mich allein in der Halle auf dem Weg an meinen Arbeitsplatz. Später ging ich durch das brennende Viertel nach Hause zur Gallinchener Straße…“
Nach diesem Luftangriff ging der Betrieb im Bahnhof weiter. Die Leute legten Hundertmarkscheine auf das Schalterpult. Wo wollen Sie hin? Egal, nur weg von hier! Es gingen, wenn überhaupt, nur Züge nach Westen.
Bis zum 20. oder 21. April, sagt Dorothea Fisch, wurden Fahrkarten verkauft. Dann hieß es: Die Russen sind da, ihr müsst weg. „Mit den Hausnachbarn sind wir gelaufen, zuerst durch die Berliner Straße. Ich erinnere mich genau, wie das Weiße Roß (Hotel am Berliner Platz) brannte.“ Damit bestätigt Frau Fisch, was auch Blechenpreisträger Walter Drangosch – damals in Gefangenschaft geratener Sanitäter – in seiner Erinnerungen schreibt. Immer wieder wird falsch berichtet, dass wichtige Objekte der Innenstadt zerbombt wurden. Das trifft auf nur wenige zu. Die meisten wurden beim Einmarsch der Russen (oder auch noch später, wie das Rathaus) in Brand gesetzt. Für Dora Fisch, die damals noch Plober hieß, begann eine Odyssey: „Wir gingen bis Halbe, entkamen dem Inferno der Stalinorgeln und zogen von da zu Fuß bis nach Herne in Westfalen. Rückwärts gelangten wir über die Röhn und bekamen einen Zug. Ich fand meine Mutter daheim in Cottbus wohlbehalten.“ Das Bahnhofsgebäude aber war nun zerstört – von einem abziehenden SS-Verband gesprengt, wie der Historiker Heinz Petzold recherchiert hat.
Viele Leser erinnern sich an das Barackenprovisorium, in dem es im Sommer heiß, aber wegen der Pendeltüren auch zugig war. Jürgen Markert freut sich. Er sammelt alte Motive und findet selten eine neues; diesmal schon.
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