Am Palmsonntag, also eine Woche vor Ostern, feierte meine Taufkirche in der Gellertstadt Hainichen in Sachsen einen bedeutenden Gottesdienst. Die Kirchgemeinden der Region von Mittweida bis Roßwein vereinigen sich als „Schwestern“. Mein Cottbuser Freund erzählte mir davon; er ist in Roßwein geboren und besucht oft seine Mutter (95), die gern den „Märkischen Boten“ liest. Sie ist, wie viele dort, in Sorge, wie künftig Gemeinde gelebt werden kann. Wie sich so fern nahe kommen? 20 Kilometer liegen zwischen den Städten in Nachbarschaft der europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz.
Ich erinnere mich gern unserer Kirche, ein Kleinod in neugotischem Stil, erbaut in den 1880er Jahren unter Pfarrer Dr. Otto Külz. Das war der Vater von Dr. Wilhelm Külz, der Jahrzehnte vor mir meine alte Schulbank drückte, dann Jurist wurde und schließlich Oberbürgermeister von Dresden. Die Nazis feuerten ihn 1933, als er sich weigerte, ihre langen Hakenkreuz-Lappen aus dem Rathausfenster zu hängen. Wir Kinder erzählten uns solche Geschichten, wenn wir heimlich den Kirchturm bis zur Glockenetage erkletterten und fürchterlich erschraken, wenn es zur Viertelstunde schlug. Wir erforschten natürlich auch, wo die alte Kirche von 1302 blieb, und unseren kinderreichen Pfarrer von Wolffersdorf erfreute unsere Neugier. In dem barocken Gotteshaus hatte Christian Fürchtegott Gellerts Vater gepredigt. Prof. Gellert, erzählten wir uns, war in Leipzig der Deutschlehrer von Goethe – in unserer lokalstolzen Lesart. Jedenfalls kannte unser Fabeldichter noch jene alte Kirche, die fürs kleine Städtchen fast zu prächtige Orgel wohl nicht. Sie ist 1759 von dem Silbermann-Schüler Johann Georg Schöne aus Freiberg gebaut worden. Ihrem wunderschönen Prospekt begegnete ich vor rund 40 Jahren in Cottbus; er ist seither das Gesicht der kostbaren Eule-Orgel in der Oberkirche. So fern sind uns Hainichen und Roßwein – und so nahe, staunt mein Cottbuser Freund. Wird auch Gemeindeleben fern und nahe möglich? J.H.
Schreibe einen Kommentar