Kommentar: Stilles Erinnern

Die lokale Nachrichtenlage bleibt von Absagen geprägt. Liebgewordene Veranstaltungsreihen fallen aus. Die Abstandsverordnung macht’s nötig.
Längst abgesagt sind auch die vielen jetzt fälligen Firmenfeste zu den 30-jährigen Jubiläen. Das erste Halbjahr 1990 geht als die Zeit des „wilden Ostens“ in die Geschichte ein, eine Phase der Gesetzlosigkeit, die voller Chancen war. Die müde DDR war längst zu Grabe getragen, das ganze Deutschland aber gab es noch nicht. Es begann die Flucht junger Menschen in die Jobs im Westen, es zerbrachen Lebenspläne, gingen Arbeitsplätze verloren, taten sich an jedem Morgen neue Fragen auf, die möglichst bis zum Abend – ganz ohne Telefon oder gar Handy und Google –  beantwortet sein sollten.
In dieser Landschaft weitestgehender Ratlosigkeit fanden verwegene Menschen ihren Weg und meist auch Partner und gründeten Unternehmen. Wer Durchblick hatte, ließ eine GmbH eintragen, für die ab 1. Juli 25 000 D-Mark nachzuweisen waren – in Geld oder in Sachwerten. Mancher brachte den eigenen „Lada“, den „Trabi“ der Frau und das Gesparte, 2 : 1 Getauscht, von Oma ein. Die Eröffnungsbilanzen fielen grässlich aus, aber die Steuerberater, die sich nach hier verliefen, waren es zum Teil auch.
Wilder Osten 1990. Das liegt 30 Jahre zurück und einige, die es gleich riesig wollten, blieben schnell auf der Strecke. Andere schlugen sich durch, schlüpften nach und nach in die Schuhe der Gesetze und fanden festen Halt, vollbrachten vielleicht Erstaunliches. Weil sie Mitarbeiter gefunden hatten, die sich nicht schonten und weil alle zusammen Glück hatten und gesund blieben. Jetzt hätten sie Anlass, stolz zu sein, zurück zu schauen und zu feiern. Drei Jahrzehnte. Das ist doch was! Aber da bremst dieses weltläufige Virus allen Gang der Dinge. Es bleibt nur beim stillen Erinnern.
Vielleicht – ja, vielleicht sagt jemand mal: Gut gemacht, danke!         J.H. 

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