Joachim Gauck, damals noch Bundespräsident, hatte wohl Recht, als er 2015 auf das Flüchtlingsdilemma hinwies: „Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Jetzt, neun Jahre später, spitzt sich der erahnte Konflikt zu, und die Worte werden nun wieder gern im Wahlkampf zitiert, sogar von unterschiedlichen Parteigängern. Gauck hatte das Problem erfasst, doch er sprach als Pfarrer. Die pastoral vereinnahmten Herzen aller, dieses „unser Herz“ von oben herab, wurde zur Täuschung. Es vernachlässigt die Rhythmusstörungen so vieler Herzen – auch hier in der Lausitz. Die sind nicht weit, sondern beklommen, wenn die Menschen sehen, wie Fremde in Ghettos versammelt werden, Parallelwelten entstehen, Angst herrscht vor nächtlicher Gewalt, wenn Grenzzäune zum Thema werden und anderes Übel. Gaucks Satz hat sich umgekehrt. Die Möglichkeiten scheinen unendlich, jedenfalls wo es darum geht, sich wieder mal an Kriegsfronten aufzuplustern. Verschlossen bleiben Herrenherzen hingegen für die ernsten Sorgen der Menschen, deren Hoffnung auf das kleine Glück einer sicheren Existenz im Alter, guter Schule für alle Kinder und Nachbarschaft ohne Missgunst schwindet. Es sind diese über die Köpfe hinweggeredeten Sätze abgehobener Politik, die unseren inneren Frieden auf dem Gewissen haben. Dieses „Wir schaffen das“ von Frau Merkel, das „Ich kann Kanzler“ von Scholz und das vergiftende „Der Kohleausstieg ist schon 20-30 möglich“ der Grünen. Oder eben: „Unser Herz ist weit.“ Aber es gibt Hoffnung. Wer sich nicht von den wirren Plakaten an den Lichtmasten irritieren lässt und den Weg zu Gesprächsrunden mit Landtagskandidaten geht, wird kluge Gedanken ohne Geschwätz von Brandmauern hören, kann sich vielleicht auch einbringen mit Ideen. Gerade jetzt ist bei denen, die gute Chancen haben auf einen Platz im Landtag, das Hinhören angesagt. Denen, die wirklich mit Sendungsbewusstsein unterwegs sind, ist dieser Tage das Herze weit. J.H.

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