Ein Spiel zwischen Wunder und Wahnsinn.
Cottbus. Die Wunder begegnen uns in diesen gut zwei Theaterstunden vielfach. In der Farbenfülle, in mitreißender Musik und vor allem in ausdrucksstarkem Tanz. Choreografin und Co.-Regisseurin Allessia Ruffolo, Multitlent aus Kanada, die US-amerikaischen Komponisten Marshall und Kellen McDaniel und deren Interpreten Nasseb Amadieh (Violincello), Dan Baron (Gitarren), Heiko Liebmann (Drums) und Lu Schulz (Saxophon) und nicht zuletzt Mara-Madeleine Pieler, sonst in Hamburg erfolgreich, mit ihren Lichteffekten und Bühnenbauten haben dafür gesorgt.
An die harte Kante des Wahnsinns treibt, so wie Autor E.T.A.Hoffmann das fordert, Regisseur Philipp Rosendahl, Schauspieldirektor im Hause, sein Ensemble. Ob es ihm um das Erfassen aktuell erblindeter Wirklichkeit oder das Ergründen letzter Winkel der auch nach Freud noch rätselhaften Psychoanalyse geht, bleibe dahingestellt. Um aus dem Dunkel des Meisterwerks der Romantik (geschrieben vor 200 Jahren) ins hinfällig-lässige Heute zu gelangen und ein Publikum zu fesseln oder wenigstens zu unterhalten, bedurfte es nochmals eines Wunders. Rosendahl fand es in genialer Verknüpfung von Schauspiel und Ballett. So wird es möglich, mehr darzustellen als der beste Schauspieler (Rosendahl hat ihn mit Manolo Bertling!) vermag. Er kann mit dem zweiten Nathanael, dem faszinierenden Tänzer Taro Yamada, illustrieren, wie panische Angst und Seelenqual den Körper biegt, knetet und traktiert. Nicht nur Nathanael, die Hauptperson des Stücks, sondern auch Clara ist in dieser Weise doppelt besetzt mit Ariadne Pabst und Tänzerin Laura Oakley.
Es sei nicht verschwiegen, dass es bei so kompliziertem Konstrukt geschehen kann, dass dem Betrachter der Handlungsfaden verloren geht – doch selbst das täte dem Gesamterlebnis vermutlich kaum Abbruch.
Die gruslige Geschichte ist eigentlich kurz: Das liebe Sandmännchen (heutigen Bildes) tritt als Beängstigendes ins junge Leben Nathanaels. Als Kind sieht er einen Freund des Vaters in dieser Rolle. Als der Vater plötzlich stirbt, ist der Junge traumatisiert. Die Kindheitsbilder bleiben, trüben seinen Blick und er verliebt sich in die „Tochter“ seines Professors, die eine mechanische Puppe ist. Als er das erkennt, hat ihn der Wahnsinn endgültig eingeholt; er stirbt im Suizid.
Die schaurige Fabel wird auf der Cottbuser Bühne temporeich erzählt und von toller Musik, die nur für diese Inszenierung komponiert wurde, getragen. Phasenweise fühlt sich der Zuschauer mehr im Ballett als im Schauspiel, doch immer wieder reißt dieser Nathanael des Manolo Bertling und seines zweiten Ichs, des Tänzers Taro Yamada, die Szene an sich.
„Der Sandmann“ verschafft Genuss und provoziert Befremden mit seinem bunten Einblick in die düstersten Seelentiefen. Trost und Zuversicht kann er aus der fernen Romantik gewiss nicht transportieren, aber schon ordentlich nachdenklich machen. Das Publikum war in der Vorstellung kurz vor Weihnachten deutlich begeistert. Die Premiere hatte schon am 30. November stattgefunden. Die nächste Vorstellung gibt es am Sonnabend, dem 11. Januar. Sie ist sehr zu empfehlen.
Neben den erwähnten Darstellern und Tänzern gehören Leigh Alderson (Coppelius & Coppola), Markus Paul (Vater und Spalanzani), Jorge Concepocion (Olympia, die Puppe) sowie Alessandro Giachetti, Kate Farley, Nyla Tollasepp und Natalie Schörken zum Ensemble. Levi Haidan und Alexander Rublack sind die Kinderstatisten. Für romantische Kostüme sorgte Johann Brigitte Schima. J. Heinrich
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