
Region. Es ist ein erstaunliches Phänomen im Literaturmarkt: Das Werk der DDR-sozialistischen Autorin Brigitte Reimann (1933-73), die lange in Hoyerswerda und Schwarze Pumpe wohnte und arbeitete, erlebt gerade eine zweite „Ankunft“ – die in der (west-) deutschen Bundesrepublik. Erst in diesem Jahr erschien hier ihr Roman „Die Geschwister“ in einer neuen Ausgabe. Die Geschichte, die gefühlsstark das Leiden von Bruder und Schwester, getrennt durch die deutsch-deutsche Grenze, beschreibt, erschien in der DDR 1963 in hoher Auflage und wurde damals mit dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet. Verleger wischen sich heute die Augen angesichts solch ergreifender, geistreich und trotzig grübelnder Texte.
Kommenden Freitag (21. Juli 2023) erinnern sich Literaturfreunde des 90. Geburtstages der Initiatorin der „Ankunfts“-Literatur. Aus ihrem Schwarze-Pumpe-Roman „Ankunft im Alltag“ leitete sich ein ganzer Abschnitt der dann folgenden DDR-Literatur ab – der auf dem „Bitterfelder Weg“ im realsozialistischen Alltag angekommenen Autoren und literarischen Gestalten.

Brigitte Reimann, in Burg bei Magdeburg aufgewachsen, war ein Naturtalent des schreibenden Erzählens. Ihre im 14. Lebensjahr mit anhaltenden Folgen überstandene Kinderlähmung band sie zunächst an diese Beschäftigung, befeurte andererseits später ihre außerordentliche Lebens- und Liebeslust. Sie wechselte unentwegt ihre Partner, hatte meist mehrere zugleich war oft verlobt und mehrfach verheiratet und kämpfte mit extremen Gemütsschwankungen, die auch zu Dregenexzessen und Suizidversuchen führten. Das widersprach aber nicht ihrer oft und Schmerzen geleisteten ehrgeizigen Arbeit an literarischen Projekten. Die wurde nach den ersten Erfolgen eher durch Beanspruchung höchster SED-Chargen gehemmt. Selbst Walter Ulbricht lud sie zu sich ein. Sie nannte ihn nachher „einen ekligen, selbsgefällig grinsenden Machtmenschen“.

Reimann wohnte mit ihrem zweiten Ehemann von 1960 bis ‘68 in Hoyerswerda, arbeitete zwei Tage pro Woche im Gaskombinat. Ihr unvollendeter Roman „Franziska Linkerhand“ setzt sich mit der architektonischen Phantasielosigkeit von Neubaustädten auseinander. Die hält im jetzt weitestgehend zurückgebauten „Howoy“ an; die durch den Kunstverein unter Martin Schmidt (1937-2023) begründete Brigitte-Reimann-Begegnungsstätte löste sich letztes Jahr auf. Aus der Neubauwohnung mit Hellerau-Möbeln der 60er Jahre sind die Buchbestände zu 1-Euro-Flohmarktpreisen und alles Inventar verramscht worden. Ein kleiner Rest ging ins Museum. Derweil erzielen frühe Reimann-Ausgaben stolze Preise: „Die Geschwister“ in Broschur von 1963 kosten antiquarisch 54 Euro, die berührenden Erinnerungen des Spremberger Malers Dieter Dressler mit aufschlussreichem Reimann-Briefwechsel der befreundeten Künstler gut 200 Euro.
Deutsche Bühnen interessieren sich ganz aktuell wieder für die „Linkerhand“. Das Deutsche Theater inszenierte eine Bearbeitung im Jahre 2019, Potsdam zeigt jetzt eine neue Fassung. Größten Erfolg hatte 1978 die Inszenierung von Christoph Schroth in Schwerin mit Angelika Waller in der Titelrolle.
Die Cottbuser Inszenierung von Dieter Roth 1984 durfte nur auf der kleinen Probebühne gezeigt werden und wurde nach zehn Vorstellungen abgesetzt, weil sie „das DDR-Wohnungsbauprogramm verzerrt“ behandelte.
Ob die 1999 gegründete Brigitte-Reimann-Gesellschaft mit Sitz in Neubrandenburg den anstehen Geburtstag würdigt, geht aus deren schweigendem Internet-Portal derzeit nicht hervor. J. Hnr.
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