Geschichtsbücher müssen umgeschrieben werden Einmaliger Schatz über Flora und Fauna des Klimawandels vor 130 000 Jahren in der Lausitz
Jänschwalde (ha). Journalisten aus ganz Deutschland drängten sich Donnerstag dicht im Presseraum der Tagesanlagen im Tagebau Jänschwalde. Der Landesarchäologe Franz Schopper und Vattenfall-Geologe Ralf Kühner hatten eine Sensation zu verkünden, die europaweite Bedeutung haben wird. „Mit dem Tagebau haben wir die extrem seltene Möglichkeit, eine umfangreiche Sammlung erhaltener Samen, Blätter, Holz, Waldfrüchte und Knochen der Zeit vor rund 130 000 Jahren ausgraben zu können“, so Franz Schopper. Konserviert wurden die Ablagerungen einst in einem See, der später stark absackte und von Sediment bedeckt sogar die Weichsel-Eiszeit überstand. Dass es hier mehrere kleinere Kessel dieser Zeit gibt, ist lange bekannt. Dass aber der seit 2010 untersuchte Graben sich 500 Meter breit über zweieinhalb Kilometer erstreckt, ist ein seltener Glücksfall. Gut die Hälfte dieses einstigen See-Grundes ist bereits untersucht. Unzählige Knochen, Pflanzenreste und Proben wurden untersucht. „Doch vor etwa sechs Wochen sind wir auf eine Sensation gestoßen, auf von Menschen bearbeitete Feuersteine. Sie beweisen erstmals, dass Menschen in Brandenburg zwischen den beiden Eiszeiten gesiedelt haben. Das ist wie ein Sechser im Lotto“, erzählt der Landesarchäologe aufgeregt. Damit lebten Menschen in der Niederlausitz nachweislich schon 80 000 Jahre früher als bisher angenommen.
Aber die wenige Zentimeter dünne Schicht enthält noch viel mehr, was die Archäologen und vor allem die Paläontologen brennend interessiert: „Wir haben eine große Zahl an Wirbeltierknochen gefunden. So lebten damals hier längst ausgestorbene Riesenhirsche, Steppenbisons und Waldelefanten, aber auch Damwild, Wildschweine, Wölfe und die Europäische Sumpfschildkröte“, so Franz Schopper. Auch gab es einen reichen Fischbestand. Ebenso aufschlussreich sind die Analysen der pflanzlichen Funde: Typische Vertreter der Waldtundra waren zu finden wie das Laubmoos, die Moorbirke, die Bärentraube, der Sanddorn oder das Laichkraut.
Für die Menschen, die damals hier jagten und sammelten, war der Tisch also reich gedeckt.
Vorsicht im Vorschnitt
Auf die Großgerätefahrer kamen mit dem Fund ganz neue Herausforderungen zu. Der Vorschnittbagger durfte an der 500 Meter breiten Stelle mit dem seltenen Sediment nicht bis in die vorgesehene Tiefe graben, sondern musste eine „Terrasse“ stehen lassen. Die wurde und wird von Grabungsbaggern Stück für Stück freigelegt, um an die wertvollen Schichten zu gelangen.
Etwa ein Sechstel des großen Beckens, das aus dem Tagebaufeld ragt, wird nicht freigelegt, sondern bleibt unangetastet im Boden in etwa zwölf bis 15 Metern Tiefe. Bis Ende 2014 wird der einstige See, der sich genau zwischen Jänschwalde-Ost und Grießen befand, überbaggert sein. Bis dahin können die Archäologen noch unzählige Funde machen. Vielleicht treffen sie sogar auf Menschen- oder Mammutknochen. „Möglich wär’s“, sagt Franz Schopper. „Doch das wäre viel, viel mehr Glück als ein Sechser im Lotto.“