Tomo Sugao bringt mit „Król Roger“ den Polen Szymanowski atemberaubend auf die Bühne.
Cottbus. Zurückhaltend-optimistische Erwartung vor der letzten Opernpremiere im Staatstheater Cottbus. Man weiß gerüchteweise wenig über den polnischen Komponisten, liest aber große Namen und erwartet viel von GMD Alexander Merzyn, der die musikalische Leitung hat. Ohne Ouvertüre hebt sich der Vorhang für viele Füße, dann eine vitale Chorszene. Rauschhafte Dynamik bricht aus, kraftvolle Töne aus dem Graben, in musikzimmerartiger Bühne (Julia Katharina Berndt) wird es boutiquengrell bunt (Kostüme Carola Volles), Chor (Einstudierung Christian Möbius) und Ballett (Choreografie Andrea Danae Kingston) sind nicht Beiwerk der 90-Minuten-Oper in drei Akten, sondern ihr Kraftkern. Aus der linken Loge stimmt, von Möbius dirigiert, mildernd ein Kinderchor ein. Das Publikum ist umfangen, schnell begeistert von dieser stil- und gattungsfreien Musik des Karol Szymanowski, einem der drei großen Musik-Polen des 20. Jahrhunderts, der gern und auch hier mit exotischen Mythen spielt.
Der deutsch-japanische Regisseur Tomo Suago packt freudig diesen bisweilen verfemten Stoff an, den eine Art Coming-out (Szymanoski, 1882-1937 war schwul) beseelt, aber nicht das eines einzelnen Homosexuellen, sondern das einer rätselhaften, verklemmten Menschensammlung. Ein talentierter Prediger einer Religion von Genuss, Glück und Freiheit (wer mag nicht dieses Gegenteil einer Triage?) sprengt alte Verheißungen aus den Fugen. Nicht länger gilt steife Gelehrsamkeit des Edrisi (Alexey Sayapin), selbst Königin Roxane (Ketevan Chuntishvili) reißt sich aus der Ambivalenz zwischen Regel und Aufbruch. König Roger II. (Szymanowski hat den Sizilianer als historisches Bild, nicht als Handlungsvorlage gewählt) ist schnell bereit, aus dem Verhör des Eindringlings eine aufgeschlossene Anhörung werden zu lassen. Wir erleben den Bariton Nils Stäfe, seit 2017/18 im hiesigen Ensemble, in seiner hier wohl bedeutendsten Rolle. Dieser König wird nicht schwach, jedoch wandelt er sich in schnellem Lauf radikal. Er verliert sein Volk, verliert vor allem seine Geliebte, die ihm alles bedeutet und dennoch sträubt er sich gegen die Botschaft des fremden Predigers, des Hirten (Uwe Sickert), der er schließlich aber doch erliegt.
In orgiastischer Wildheit des 3. Aktes kulminiert ein eigentlich unglaublicher, aber nachvollziehbarer Prozess. Roger gibt in den letzten Minuten alles hin – einzig dem Tag, der Sonne und dem Leben wendet er sich zu.
Der Deutsch-Japaner Sugao lässt diese Geschichte in ihrer großen Dichte flüssig und anrührend erzählen. Wir erleben eine Regiehandschrift, die auf mehr neugierig mach. Das bekommt das Cottbuser Publikum in einem Jahr. Im April 2023 hat seine „Zauberflöte“ von Mozart Premiere.
Neben den starken Gästen im Inszenierungsteam steht auch mit Uwe Stickert als Der Hirt ein Gast im Kreis der Darsteller. Der junge Mann hat Klavier und Gesang in Weimar studiert und sich inzwischen international einen Namen als Liedsänger gemacht. Vorwiegend liedsingend trägt er auch bei „Król Roger“ seine Suggestion vor. Cottbuser erlebten ihn schon 2020 in Merzyns konzertanter „Fidelio“-Variante als Florestan.
Kräftiger Beifall galt am Schluss allen Beteiligten der Inszenierung, besonders aber auch GMD Alexander Merzyn und seinem Philharmonischen Orchester, das so kraftvoll und nuanciert diese beiden Welten der Szene auf der Bühne zu tragen vermochte. Szymanowskys große Kunst besteht wohl darin, dass sich ohne diese Musik gar nicht kommunizieren lässt, was der kompakte Text seines Cousins Jaroslaw Iwaszkiewiecz formuliert.
Regisseur Tomo Sugao wusste sich zu helfen, weit mehr zu vermitteln, als gesprochene oder gesungene Worte vermögen. Niemand kann sich der drängenden Wirkung der Körper entziehen, die Den Hirt umgeben: Unablässig und zielführend die Tänzer Eefje van der Bergen, Axier Iriarte, Hannah Kelly-Beuthner und Gian Luca Lazzarini. Bravo!
Die Oper „Król Roger“ steht am Sonntag, dem 26. Juni 2022, 19 Uhr, wieder im Plan. J.Heinrich
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