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Intendant und Direktor Serge Mund: Nach Schockstarre Vertrauen gesät
Cottbus. (MB) Königsblau, gut 200 Seiten stark. Aber mit nur 13 mal 15 Zentimeter Taschenformat lässt die Broschüre zur aktuellen Spielzeit strenge Sparsamkeit vermuten. Der Kaufmann René Serge Mund hat sich als Intendant so entschieden.
Wir fragten ihn:
Ein Reduktions-Signal?
R. Serge Mund: Nein, es ist Ausdruck von Ästhetik. Ich wollte ein anderes Format. Dieses hat mir gefallen und es ist auch handlich.
Die Ausgabe zuvor im alten Querformat enthielt Ihren kernigen Satz: Theater findet auf der Bühne statt…
Hab’ ich das gesagt? Sogar geschrieben, nun ja. Es sollte eigentlich auf der Bühne stattfinden und nicht, wie vor zwei Jahren, hinter der Bühne.
Es war ein Beben, als der GMD und der Geschäftsführer gekündigt wurden und der langjährige Intendant wegen des Vertrauensverlustes selbst kündigte.
(Bietet seine kurze, filterlose Zigarette an, „naturrein, bio“ Marke „gitanes“, also „ Zigeunerinnen“ aus Frankreich – Danke, nein.)
Sie waren in der Not zur Stelle. Wie kam das?
Es war ein Überfall, in dem ich spontan ja oder nein hätte sagen können. Ich war nach einem Projekt in Rheinsberg ein Jahr Rentner, also frei. Weil ich eben dieses Haus kenne und viele der Kollegen gut kenne und weil ich zu allen wichtigen Premieren immer hier war, hat die Antwort automatisch nur ja heißen können. Was ich auch absolut nie bereut habe.
Auf welche Situation trafen Sie?
Als ich ankam, sah ich, dass das Haus unter Schock stand, und im Nachhinein muss ich sagen: Auch ich geriet unter Schock.
Wodurch?
Ich hatte unterschätzt, wie heftig die Situation allen unter der Haut saß. Aber die Bereitschaft, dass wir schnellstmöglich und so unbeschadet wie möglich aus der Affäre herauskommen, war bei allen vorhanden. Nun werden wir sehen, wenn ich weggehe – in einem halben Jahr – ob es gut war, was wir zusammen erreicht haben, oder eben nicht.
Sie sind Kaufmann, meistern nun aber zugleich die Intendanz, füllen zwei große Chefposten. Ein erstaunliches Pensum.
Formal, ja, komme ich aus der kaufmännischen Seite, aber ich war auch Intendant in Gera und habe in allen Häusern, wo ich nicht Intendant war, trotzdem künstlerische Vorschläge eingebracht, die manchmal angenommen wurden und manchmal auch nicht oder auch später. Zum Beispiel bei Herrn Schüler: Wie wäre es mit „Turandot“? drängte ich. Es wurde nichts, aber dann ging es doch, als ich längst weg war. So ist das mit dem Theater.
Jetzt aber erleben wir eine Spielzeit, die Ihre Handschrift trägt, in ihrer Verantwortung liegt.
Ja, im Guten wie im Schlechten.
(Es gibt Espresso, die Tasse steht direkt neben der Grünebaumpreis-Figur)
Sie hatten keinen Solisten, sondern den 1. Konzertmeister für den Grünebaumpreis 2019 vorgeschlagen. Warum?
Es mag so sein: Die 1. Violine steht nicht so im Vordergrund wie eine Sängerin, ein Schauspieler oder ein Tänzer. Aber Chuanru He, unser 1. Konzertmeister, ist ein herausragender Virtuose, und er hat es nicht leicht gehabt durch den Weggang von Herrn Christ. Er hat gute künstlerische Arbeit auf der Bühne und für unseren Zusammenhalt geleistet. Er hat den Preis verdient, sonst hätte ich ihn auch nicht vorgeschlagen. Jetzt mache ich mir schon Gedanken für einen Vorschlag für die Auszeichnung im November.
Früher gab es zwei Hauptpreise. Warum hat sich das geändert?
Ich war immer gegen zwei Preise. So groß ist unser Ensemble nicht.
Die Erkenntnis kam letztlich auch aus finanziellen Erwägungen; die Zinserträge minimieren sich. Aber schon vorher fiel die Entscheidung für nur einen Preis, damit es hier keine Preis-Inflation gibt.
Nach so vielen Wechseln, auch noch bevorstehenden, im Haus kam es unterdessen auch zum Wechsel in der das Haus unmittelbar betreffenden Politik. Hatten Sie Kontakt zur neuen Wissenschafts- und Kulturministerin Manja Schüle?
Ja, schon in der ersten Woche, nachdem sie Ministerin wurde, war sie hier in Cottbus. Wir haben zwei Stunden in einem tet-á-tet über uns gesprochen. Dann war sie noch zwei Stunden bei Frau Kremeier im Kunstmuseum, um die Schwerpunkte der zwei kulturellen Einrichtungen zu fixieren. Ich hatte einen sehr positiven Eindruck. Ich war einer Frau begegnet, die zuhört.
Jetzt gibt es erfreuliche Nachrichten aus Potsdam fürs Haus.
Durch den Nachtragshaushalt für 2020 erhalten wir 2,2 Millionen Euro zusätzlich. Das bedeutet 6,25 Prozent mehr Gehalt rückwirkend ab Januar für die Bereiche Technik und Verwaltung; für Künstler und Künstlerinnen zunächst plus 3,25 Prozent und acht zusätzliche freie Tage. Sie erhalten ab 2021 den vollen Flächentarif. Es ist viel Geld, das aber nur Überfälliges deckt. Wir brauchen, um höchsten künstlerischen Ansprüchen gerecht zu werden, deutlich mehr.
Das heißt, Ihr formulierter Anspruch, „leistungsstärker und konsolidierter als je zuvor“ aufzutreten, ist gefährdet.
Das nicht. Kunst geht immer an Grenzen, und ich als Intendant muss mir als Direktor Druck machen. Wir sind mitten in der Spielzeit und werden erst am Ende sehen, ob die gut war oder nicht. Im Augenblick sind wir alle gespannt auf Jo Fabians „Antifaust“ am Monatsende.
Ihnen folgen der Schweizer Stephan Märki als Intendant und Iris Dönicke als Direktorin. Im Weiteren wird das lange Zeit männlich dominierte Haus wieder weiblicher, ist zu hören.
Das stimmt wohl. Auf Jo Fabian, dessen Vertrag ausläuft, folgt Ruth Heyen als Schauspieldirektorin – eine herausragende Theaterkennerin und Dramaturgin, die aber wohl selbst nicht inszenieren wird.
Aus Sarajevo und Zürich kommt Jasmina Hadziahmetovic, die sich bei uns mit Wagners „Holländer“ als Regisseurin bestens eingeführt hat. Ich hatte ihr eine weitere Regiearbeit angeboten, und nun konnte sie Stephan Märki als Oberspielleiterin in der Oper verpflichten. Eine sehr gute Wahl, denke ich. Für das Orchester hatten wir mit GMD Alexander Merzyn ja schon im Dezember die von den Cottbusern begrüßte Entscheidung getroffen.
Apropos Cottbus: Wird unser Theater gesellschaftlich, auch von der Stadtspitze, angemessen wahrgenommen?
Leider nicht. Zu Premieren wäre es schon schön, den Oberbürgermeister und sein Umfeld zu sehen. Als ich in Gera Intendant war, war das für den damaligen dortigen OB Ralph Rauch selbstverständlich, wenn es der Terminplan zuließ. Und er war jetzt schon mehrfach Premierengast in Cottbus. Theater lebt auch von dieser Art öffentlicher Wahrnehmung. Das war immer so, vielleicht wird es auch hier künftig besser gelingen.
Danke für das Gespräch. J.Hnr.
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