Sonderausstellung im Cottbuser Stadtmuseum erinnert an vergessenes Kapitel der Kriegsgesellschaft

Stadtmuseum Cottbus
Die Globuskarte zeigt: Menschen aus fast der ganze Welt waren Kriegsgefangene in den Cottbuser Lagern. Foto: Hnr.

Cottbus (h.) Auf Sammlermärkten tauchen gelegentlich historische Ansichtskarten auf, die Männer in langen Militärmänteln zeigen, meist vergnügt rauchend oder gemeinsam handwerkelnd und musizierend, beschriftet als „Russen im Kriegsgefangenenlager Cottbus“. Kaum jemand kann etwas anfangen mit den verwirrenden Grußbildern.
Jetzt präsentieren Robert Büschel aus dem Cottbuser Stadtmuseum und Alexander Valerius aus Berlin, unterstützt u.a. von Leihgebern und dem Heimatverein Cottbus, eine geradezu spektakuläre Ausstellung unter dem Titel „Ankunft auf Zeit“. Sie haben mit sage und schreibe 1 200 (!) Foto-Glasplatten einen wahren Schatz im eigenen Hause gehoben. Die Dokumente in bester fotografischer Qualität geben Einblicke in Cottbuser Kriegsgefangenenlager in den Jahren 1914 bis 1924, die zeitweise bis zu 40 000 Menschen unter teilweise katastrophalen Umständen versammelten – eine Stadt neben der Stadt, die damals selbst kaum mehr Einwohner hatte. Die Bilder stammen von dem Cottbuser Paul Tharan, der sie als Lagerfotograf unter Mitarbeit von Häftlingen herstellte und, wie die noch heute im Umlauf befindlichen Ansichtskarten vermuten lassen, regelrecht vermarktete. Vermutlich bediente er auch die lokale und internationale Presse mit Bildmaterial. Das Interesse daran war offenbar groß. Zunächst kamen am 4. September 1914 per Eisenbahntransport, für die Stadtverwaltung ziemlich überraschend, 5 000 russische Gefangene nach Cottbus. Der Oberbürgermeister ließ sie auf der alten Pferderennbahn am Sielower Stadtrand unterbringen, wo sie im Freien hausten und sich aus Stöcken, Decken, Ästen und Stroh notdürftige Behausungen bastelten. Auch als sich die Zahl der Gefangenen nach einer Woche verdoppelte, gab es weder Unter- künfte, noch irgendwelche, wenigstens notdürftige sanitären Anlagen. Erst nach einer weiteren Woche begann der Barackenbau. Vollkommen verdreckt und verlaust ereilte die Gefangenen eine Fleckfieber-Seuche, die in kurzer Zeit 500 Tote zur Folge hatte. Es wurde, um der Epidemie Einhalt zu bieten, in Merzdorf ein zweites, nun mit hygienischem Mindestaufwand ausgestattetes Lager zur Quarantäne gebaut, das für 10 000 Gefangene ausgelegt war. Seine Friedhofsreste sind heute noch im Stadtteil zu finden.
In Sielow entstand in den Folgejahren ein riesiges Lager aus langen Baracken-Komplexen, geplant und errichtet von den Inhaftierten selbst. Die kamen vorwiegend aus Osteuropa, aber auch aus Frankreich, Belgien, Italien und fast dem ganzen Rest der Welt. Die verschiedensten Kulturen lebten dürftig eng beieinander. Als am 30. September 1916 eine ansehnliche Lagerkirche eingeweiht wurde, schrieb der Cottbuser Anzeiger: „Es wird sich für unsere Stadt vermutlich auch in normalen Zeiten nicht wieder ereignen, dass bei einer kirchlichen Feier gleichzeitig ein russischer, ein englischer und ein französischer Gesangsverein mitwirken und dass außerdem ein Amerikaner als Stifter dabei auftritt. Alle diese Umstände trafen zusammen bei der schlichten aber eindrucksvollen Feier, mit der gestern Nachmittag die neuerbaute Kirchenhalle im Gefangenenlager Sielow ihrer Bestimmung übergeben ward.“
Was die gut anzuschauenden Bilddokumente des Lagerlebens nicht vermitteln, haben die jungen Historiker erforscht und in einer professionell gestalteten Ausstellung gefühlvoll und faktenreich dargestellt: Der Lageralltag war bestimmt von Hunger, Entbehrungen und Heimweh. Vorurteile und Gewalt mit brutalen Bestrafungen kamen vor, aber eben auch religiöses Hoffen, Freundschaft und im Kontakt mit Cottbusern, die im Lager oder für das Lager arbeiteten, auch dauerhafte Kontakte. Die Gefangenen wurden gegen Kriegsende zunehmend auch außerhalb des Lagers gruppenweise in der Landwirtschaft, in Kohlegruben oder in der Cottbuser Industrie zur Arbeit herangezogen.
Nach dem Krieg wurden die Häftlinge nach und nach entlassen, aber es kamen andere ins „Internierungslager für lästige Ausländer“, die überall in Deutschland aufgegriffen worden sind, darunter auch Frauen und Kinder. Nachdem weltöffentlicher Druck ausgeübt wurde, löste sich das Lager auf, und fast ebenso überraschend wie einst die Nachricht von der Ankunft Gefangener, bekam der Oberbürgermeister am 19. Juli 1923 die amtliche Depesche: „Das Rennbahnlager ist geräumt“.
Museumsdirektor Steffen Krestin zeigt sich beeindruckt von den Forschungsergebnissen. Robert Büschel und die mit ihm Beteiligten sehen die Dokumentation, die es auch schon seit Sommer als virtuelle Ausstellung gibt, als Arbeitsstand. Es gebe zu diesem Thema noch viel zu forschen.

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