Zweites Bahngleis steht im Maßnahmenplan zum Strukturwandel / Ministerpräsident Woidke will letzte „Mauern“ einreißen / Frauenhofer und Luft- und Raumfahrttechnik stärken Wissenschafts-Standort.
Potsdam/Lausitz (hnr.) Für das Pensum, das Dietmar Woidke (SPD) aktuell bewältigt, wirkt der dritte Ministerpräsident dieses jungen Landes frisch und kämpferisch. Im Raum Nr. 178 der Staatskanzlei trafen wir ihn diese Woche. Das ist jenes Zimmer, in dem er auch mit den BER-Gremien tagt. „Zum Glück“, sagt er, sei er nicht Aufsichtsrat, „aber, das nur am Rande: Der Airport startet 2020.“ Immerhin. Acht Jahre nachdem ihn Platzeck im Mai 2012 für fertiggestellt hielt.
Doch ums Fliegen geht es aktuell nicht. Eher ums Bahnfahren. Die langen Nacht-Sitzungen, nicht selten bis vier oder 5.30 Uhr morgens („Zwischendurch kommt Pizza“) drehten sich am Anfang des Super-Wahljahres vor allem um Kohleausstieg und Strukturpläne. Infrastruktur vor allem für die Lausitzen in Sachsen und Brandenburg. Woidke sagt: „Wir haben eine große Einigkeit der ostdeutschen Ministerpräsidenten einschließlich Michael Müller in Berlin.“ Im Konferenz-Marathon vertraut der Regierungschef auf Opa aus der Forster Ecke: „Die Enten werden am Ende fett.“ Mit anderen Worten: Durchhalten! Das habe sich gelohnt, versichert Woidke nach zwei Terminen eben bei der Bundeskanzlerin: „Die hart genug errungenen Kompromisse als Fazit der Strukturkommission finden sich im Maßnahmenplan der Bundesregierung wieder.“ Auch das zweite Gleis zwischen Lübbenau und Cottbus? „Auch das!“
Die Metropol-Idee
Wandel braucht zuerst Wege. Straßen und Gleise. Berlin-Brandenburg soll, wie rund um Weltstädte international längst üblich, als Metropolregion gedacht werden. Zu ihr gehört Cottbus, sobald das fehlende Bahngleis ersetzt ist. „In den Westländern hat niemand auf dem Schirm, dass solche Gleise hier nach dem Krieg als Reparationsleistungen abgebaut und in die Sowjetunion transportiert wurden.“ Jetzt soll Ersatz kommen. „Wir brauchen einen S-Bahn-Takt zwischen Cottbus und Berlin. Drei Züge in der Stunde. Dann sucht niemand mehr im Fahrplan; wer die roten Lichter sieht, trinkt einen Kaffee im Bahnhof und nimmt den nächsten Zug. So rückt Cottbus nahe an Berlin.“ Die Stadt wird mit preiswertem Wohnen attraktiv für Berliner. Das ist ein Einstieg in den Strukturwandel, aber auch ohne den längst fällig.
Mauern einreißen
Das Superwahljahr überstrahlt ein Jubiläum: 30 Jahre Mauerfall. „Wir haben viel erreicht und sind stolz“, findet Woidke. Zusammen mit Berlin steht das Land aktuell bundesweit auf Platz drei im Wirtschaftswachstum. Sechs Prozent Arbeitslosigkeit nur noch. „Aber Ostdeutschland steht erst bei 80 Prozent im Durchschnittseinkommen, 80 Prozent im Steueraufkommen, und das bei fünf bis zehn Prozent längerer Arbeitszeit. „Die Tarif- und Renten-Mauern halten inzwischen länger, als die Berliner Mauer je gestanden hat. Die müssen weg“, gibt sich der Staatsmann energisch. Sorge bereitet ihm, dass Menschen, die das Land hier unter großen Mühen aufgebaut und nach 1990 ein, zwei oder mitunter gar drei Neuanfänge gemeistert haben, von Altersarmut bedroht sind. Eben ist die „Respekt-Rente“ ins Gespräch gekommen. „Gut so“, sagt Woidke. Der Aufschlag aus dem Staatshaushalt gibt den Menschen ausreichend Geld und bewahrt ihren Stolz. Für die Zukunft sieht er den Mindestlohn bei 13 Euro, sonst löse sich das Rentendesaster nie.
Retterprämie kommt
Beim Rückblick auf 2018 zeigt sich Dietmar Woidke bewegt, als die Rede auf die Feuersbrünste kommt. Größere Waldbrände gab es hier nie. Wehren, Johanniter, Polizisten, Bundeswehr … 4 000 Leute waren im Einsatz. „Es gab in der Bevölkerung unglaublichen Zusammenhalt. Niemand musste in Turnhallen wohnen, alle zeitweilig Evakuierten kamen privat unter, und als das Schlimmste vorüber war, habe ich Tränen der Erleichterung gesehen.“
Vor diesem Hintergrund entstand die „Retterprämie“ die dieses Jahr für Feuerwehrleute, aber auch für THW-Helfer eingeführt wird. Aktive Leute bekommen im Sommer 200 Euro, wer zehn Jahre dabei ist, erhält 500 Euro. „Das ist keine Entschädigung“, erklärt der Ministerpräsident, nur eine Anerkennung für so viel Engagement.
Geld hat das Land auch in die Hand genommen für das kostenfreie Vorschuljahr (43 Millionen Euro), und Fortschritte gibt es an den Schulen. Erstmals hat Brandenburg 20 000 Lehrer (zehn Prozent davon Seiteneinsteiger, die berufsbegleitend eineinhalb Jahre Ausbildung bekommen); 2009 waren es noch 17 000. Weil das Land schnell mehr Lehrer braucht, wird die Ausbildungskapazität an der Potsdamer Uni erhöht. Leider nicht in Cottbus oder Senftenberg; hier müsste das Fach erst entwickelt werden.
Energie-Kompetenz
„Cottbus verfügt über die einzige Technische Universität im Land“, sagt Woidke und betont das Wort „technische“. Diese Kompetenz gelte es zu entfalten bis hin zur CO2-freien Nutzung der Turbinen in Jänschwalde und Schwarze Pumpe. Das Strukturpaket sehe vor, dass Cottbus ein Frauenhofer-Institut bekommt und ein Institut für Luft- und Raumfahrtforschung. Es seien im Doppelhaushalt des Landes ausreichend Mittel für die Universität eingestellt. Dass die Zahl der Studenten an der BTU Cottbus-Senftenberg stark zurückgegangen ist, führt der Ministerpräsident, der jetzt den ehemaligen BTU-Präsidenten als Wirtschaftsminister im Kabinett hat, einesteils darauf zurück, dass andere Hochschulen die Studiengebühren abgeschafft haben, andererseits aber auch auf das angeschlagene Image der Stadt Cottbus „wegen ihrer Demonstrationen“.
Dass Cottbus eine medizinische Fakultät helfen könnte, wie teils aus Kreisen des renommierten Klinikums angestrebt, glaubt der Ministerpräsident nicht.
Ärzte-Stipendium
Vielmehr will er die Gesundheits-Grundversorgung im ländlichen Raum durch ein „Ärzte-Stipendium“ stabilisieren. Wer sich schon frühzeitig verpflichtet, eine klassische Landarztpraxis zu übernehmen und mindestens fünf Jahre zu führen, kann als Student ein monatliches Stipendium von 1 000 Euro beziehen. Überlegt er oder sie es sich anders, muss das schon bezogene Geld zurückerstattet werden. „Wir legen das für 75 bis 100 Studenten jährlich auf, außerdem auch für 25 Facharztausbildungen. Halten nur Zweidrittel pro Jahrgang durch, haben wir über die Zeit mehr erreicht, als mit einer teuren Fakultät, deren Absolventen ja auch nicht hier blieben.“
Die Lausitz-Region, da ist sich der Ministerpräsident sicher, gewinnt an Lebensqualität. „Dafür haben wir auch gerade die Kulturfinanzen deutlich verbessert. Das Staatstheater, die Stiftung Branitz und die neueBühne Senftenberg profitieren neben anderen Einrichtungen im Lande davon.
Entschuldung
Für die kreisfreien Städte, also auch Cottbus, läuft die Teilentschuldung durch das Land. Zugleich werden die Pro-Kopf-Zuwendungen für die Kommunen weiter erhöht. „Das ist wichtig, damit die Stadtverordneten tatsächlich über Investitionen in der Kommune entscheiden können, ohne gleich auf neue Kredite zuzugreifen, denn dann würde der Entschuldungs-Effekt wieder aufgehoben“, erklärt Dietmar Woidke, der nicht nur seit 25 Jahren Abgeordneter des Landtags ist, sondern u.a. auch Stadtverordneter in Forst war, also „das Geschäft“ in allen Ebenen kennt.
Auch die Frage der Straßenanschlussgebühren ist ihm keinesfalls fremd. „Ich habe sie natürlich auch an meinem Wohnort bezahlt und finde das in Ordnung. Wer sonst soll für die Straße vor meinem Haus aufkommen?“ Die rhetorische Frage bezieht sich auf die Forderung einer Initiative zur Abschaffung der finanziellen Beteiligung der Anlieger bei Straßenerneuerung. Würde das beschlossen, hätten wohl alle Kommunen ein Problem, glaubt der Ministerpräsident. Er hält die Forderung für „fahrlässig“. Ihre Umsetzung würde, ohne Berücksichtigung rückwirkender Ausgleiche, 150 Millionen Euro kosten und einen Schwall von „dringlichsten“ Straßenausbauwünschen auslösen.
So ist das Wechselspiel von Wunsch und Wirklichkeit in der Politik. In Brandenburg und überall. Dr. Dietmar Woidke, studierter Landwirt, unter Platzek schon Landwirtschafts- und dann Innenminister, aktuell zudem Vizepräsident des deutschen Bundesrates, beherrscht diese Klaviatur. Will er nochmal die Wahl gewinnen? Er schaut sich im Raum 178 um, dessen Wände ein Gemälde des Synthesewerks Schwarzheide und Fotos von Fotovoltaiken, Windrä-
dern und eines Abraumbaggers schmücken. „Ja. Natürlich! Aber ich könnte auch Imker sein.“
Jürgen Heinrich
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