Im Stück gemeißelt: monolythische Felsenkirchen
Wenn mittags Touristen vom Lalibela-Airport anrücken, haben die Priester ihre Rituale längst zelebriert. Mit dem ersten Sonnenlicht drängen sich weitgereiste Pilger zu hunderten. Sie umarmen demütig die Kirchensäulen, küssen die Wände. Später ziehen sich die Prediger in ihrer weißen Toga zurück, hocken wachend vorm Allerheiligsten. Fremde Neugier kennt kaum Respekt. Die Leute kommen von weit her, denn zu bestaunen gibt es hier Weltwunder.
„Werke der Engel“ heißen die elf Steinkirchen auf engem Raum. Jede von ihnen ist ein Monolyth – im Ganzen aus dem Felsen gemeißelt. Die „Bete Medhane Alem“ (Kirche „Erlöser der Welt“, unten), in der auch das goldene Kreuz von Lalibela (r.) aufbewahrt wurde, gilt als der größte von Menschen gemachte Monolyth. Und da ist nicht von einem beliebigen „Klotz“ die Rede, sondern von einer fünfschiffigen Basilika mit feinen kleinen Fenstern, durch die sich die Steinmetzen arbeiteten, um innen einen prächtigen Raum mit vier Säulenreihen zu schaffen. Deutlich kleiner, dafür innen prachtvoll ausgemalt, präsentiert sich die Marienkirche nebenan. Weitere Objekte folgen, verbunden durch ein Labyrinth von Steinschluchten, schmalen Treppen, Tunneln, Brücken, Durchbrüchen und Höhlen. Das ganze Gebilde in rostrotem Tuffstein, mitunter von bizarren Knorpelbäumen und Moosen durchgrünt, erweckt durchaus den Eindruck, als wollten die Erbauer hier nicht nur Gottes Wort hören, sondern auch Schutz bei Gefahren finden.
Es gab einen triftigen Grund, der die frühen Christen bewog, dieses klösterliche Areal zu schaffen. Zwischen ihrem Reich und den Orten von Jesu Geburt und Kreuzigung im heutigen Israel hatten muslimische Eroberungen stattgefunden und den Erben des axumischen Reiches (s. Folgen 1,2) den Weg zum heiligsten Glaubensort dauerhaft abgeschnitten. So schufen sie ihr eigenes Golgatha, ihr Bethlehem, Adams Grab und sogar den „Jordanfluß“, der zwar kein Wasser führt, aber doch dieses „Neu-Jerusalem“ teilt. Der Legende nach empfing Kaiser Lalibela (1162-1229) in Roha – so der frühere Name des Ortes – den göttlichen Auftrag, diese Kirchen zu errichten, und sie sollen nach 25 (oder100?) Jahren fertig gewesen sein. So wie wir heute haben die Menschen auch früher gezweifelt, dass Baumeister, Handwerker und Sklaven das schaffen könnten. Des Rätsels Lösung war einfach: Tags arbeiteten Menschen, nachts mit doppeltem Eifer die Engel. Wir bestaunen diesen architektonischen Schatz auf dem Dach von Afrika. Etwa abseits der Kirchendichte entdecken wir das Meisterwerk:
Der Heilige Georg soll reklamiert haben, dass ihm keine Kirche geweiht war. Mit all dem Wissen und der Erfahrung meißelten Menschen und Engel nun eine zehn Meter hohe perfekte Kirche auf kreuzförmigem Grundriss. Wie kommt es wohl, dass neben 900 Jahre alter Perfektion die Menschen hier noch immer in ihren primitiven Rundhäusern leben und mitunter gar hungern…?
Lesen Sie zum Schluss:
Der Wasserdom Afrikas
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