Gefeierte Uraufführung der Matthus-Oper „Effi Briest“ nach Fontane am Cottbuser Staatstheater
Cottbus (J. Heinrich). Große Spannung am vergangenen Sonnabend im abends geheimnisvoll-festlich blau angeleuchteten Staatstheater.
Uraufführungen sind längst keine Seltenheit mehr in diesem Musentempel. Die einer großen Oper aber schon. Die Ehrenplätze waren gut besetzt: Kulturministerin Martina Münch und auch ihr erster Vorgänger, Hinrich Enderlein, der dem Haus einst den Staatstheater-Status verlieh, waren anwesend. Ebenso Mitglieder der Grünebaum-Stiftung und natürlich viele, viele Opernfreunde aus Cottbus, Berlin und dem Rest der Republik. Auch Siegfried Matthus (85), der Komponist, war gekommen. Als langer Beifall für das Ensemble schon fast abklang, schritt er, gestützt von seinem Sohn Frank Matthus, der das Libretto schrieb, und der reizenden Hautperson des Abends, Luidmila Lokaichuk, zur Mitte der Bühne. Tosend brandete neuer Beifall auf und schien nicht enden zu wollen. Dass Publikum hatte sich von den Plätzen erhoben. Wieder und wieder deutete der große Komponist Verbeugungen an. Das Stehen fällt ihm schwer, doch er haftet fest auf dem Boden seiner Kunst, seit einem halben Jahrhundert etwa, und er musste den DDR-Nationalpreis nicht zurückgeben, um das Bundesverdienstkreuz zu erhalten.
Zwei Opern von Matthus sind in Cottbus schon mit großem Erfolg aufgeführt worden: „Lazarillo von Tormes (1974) und „Cosima“ (2009). Nun also „Effi Briest“ im Fontane-Jahr. Matthus schätzt den Dichter der Mark, kennt wohl alle seine Werke und hat es mit seinem Sohn vollbracht, den großen Roman ohne „Kniffe“ in den Zauber einer gefällig erzählenden Musik zu setzen. Kurze Szenen reihen sich aneinander, eingefasst von der an den Beginn gestellten und am Ende wiederholten Frage nach der Schuld. „Das ist ein zu weites Feld“ weicht Briest aus. Er und seine Frau Luise (Ulrich Schneider/Gesine Forberger) sind genau das Paar, das sich der Leser des Romans am Ende des 19. Jahrhunderts vorstellt.
Mehr als 30 Szenen reihen sich aneinander, dazwischen einige nur in Musik, die mehr leisten als nur für Umbauten zu überbrücken. Sie kommentiert, unterstreicht und verstärkt Gesehenes, kommt der Empfindung des Hörers ganz nahe. Vielleicht sind dies die stärksten Momente unter der musikalischen Leitung von Alexander Merzyn, der den Holzbläsern und der Orgel viel Zeit für diese Nach-Bilder lässt. Abgesehen natürlich vom groß in Szene gesetzten Liebesduett, das über Fontanes Andeutungen weit hinaus geht, in der Uraufführung aber nicht gelingt, weil Tenor Martin Shalita indisponiert ist und nur etwas steif spielt, während Jens-Klaus Wilde von der Seite eine gequälte Stimme beisteuert. Wer’s erlebte, wird „Effi Briest“ ein zweites Mal anschauen in gesunder Besetzung.
Denn die Inszenierung als Ganzes überzeugt. Jacob Peter-Messer hat sie als Gast besorgt, ein international erfahrener Regisseur, der sich auch auf Neue Musik gut versteht.
Mitgebracht hat er Guido Petzold für Licht und Bühnenbild, einen erstklassigen Könner, der hier genial eine drehbare Halbschale aufstellt, innen tragisch schwarz, außen weiß und streng mit Blockschrift überzogen, Satzbruchstücke, einem Denkmal gleich. Mehr braucht es nicht, gelegentlich Stühle, einen Tisch oder Schreibtisch und natürlich eine Schaukel. Auf ihr fliegen die Träume der jungen Effi (die großartige Luidmila Lokaichuk), zu den Wolken, und mit ihren Freundinnen (Zela Corina Calita, Debra Stanley, Rahel Brede) pubertiert sie mit frechen Stabreimen, unbeschwert volksmusikalisch dargeboten. Dann der Bruch: Sie muss, ein Kind fast noch, Instetten (sehr besonnen, aufstrebend Andreas Jäpel) heiraten. Die Inszenierung wirft ihm nichts vor; er arbeitet, dem Zeitgeist entsprechend, an einer guten Karriere und trägt den verhängnisvollen Stolz des Landadels in sich, den Effi verachtet: „Mich ekelt eure Tugend!“
Als der charmante Major Campas auftaucht, erwachen Gefühle, die Matthus weit über das Original hinaus erotisiert, schönste Vorlagen für die herrlichen Koloraturen der bezaubernden Effi dieser gefeierten Russin, die Matthus bei seinem Rheinsberger Kammeroper-Festival für die deutsche Oper entdeckte. In der Spielzeit 2016/17 war sie fest in Cottbus engagiert und begeisterte u.a. in mehreren Mozart-Partien. Jetzt gehört sie zum Halleschen Ensemble, wo sie eben als „Beste Sängerin“ im Jahrbuch 2019 der „Opernwelt“ nominiert wurde. Kein Zweifel: Diese neue Oper ist ihr „in die Kehle“ und „auf den Leib“ geschrieben worden, denn Luidmila singt nicht nur betörend, sie stellt auch unbeschwert dar, was es zu erzählen gilt. Dabei trifft sie in ihrer Not auf eine späte Freundin, Roswitha, die ihr selbstlos beisteht. Carola Fischer gestaltet daraus am Rande eine tragende Rolle. Bravo.
Musik kann, zeigt Matthus, auch bedeutsam schweigen. Kein Ton erklingt, als es zum Duell zwischen Instetten und Campas kommt. Schritte, Blicke, Gesten erzählen genug über diesen teuflischen Brauch, der auch hier tödlich endet.
Effi. von der Gesellschaft und den Eltern verstoßen, stirbt „an gebrochenem Herzen“, oder vielleicht auch an Unterernährung, denn auch ihre Freundin ist mittellos und kann sie nicht stärken. Die milde Einsicht der armen Eltern kommt zu spät.
Das Publikum bleibt tief betroffen, aber doch auch in großem Glück zurück. Welch ein Werk! Hier in Cottbus, wo Theater wieder gesundet. Das gesamte Ensemble verdient riesigen Beifall.
Eine zweite „Effi Bries“-Aufführung gab es Donnerstag, weitere am 31. Oktober und dann am 22.11. und am 21.12.
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