André Hellers Zaubergarten und der Trubel auf dem faszinierenden Platz der Gaukler.
Der Hohe Atlas bleibt wuchtig und schneebedeckt im Rücken. Durch eine fruchtbare Ebene führt die Straße nach Marrakesch, die „über den Atlas geworfene rote Perle“, wie ein Dichter schrieb – zweifellos Marokkos schönste und aufregendste Stadt. Am Eingang zum Ourikatal, der Ausflugsoase der Großstädter, liegt der Amina Garten – heute an unserem Weg der ideale Ort zum Entspannen nach der Bergfahrt. Wir erleben auf engem Raum von nur drei Hektar ein Meisterwerk sinnlicher Gartenkunst in überbordender Phantasie. Der Wiener Universalkünstler André Heller schuf diese botanische Inszenierung, die ohne Übertreibung als einer der schönsten und phantasievollsten Gärten der Welt bezeichnet wird. Heller, der in Wien, Marrakesch und weltweit lebt, eröffnete ihn 2016 als Ort des Staunens und der Inspiration. Bis ins feinste Detail ist die Anlage perfekt gepflegt, Wasserspiele und Vogelstimmen, aber auch Steinspiralen zum Entdecken umhüllen den Besucher mit Glücksstimmung – edle afrikanische Gastronomie erledigt ein Übriges. Nun sind wir gerüstet für den Trubel.
Wir orientieren uns am Minarett der Koutouiba-Moschee, dem Wahrzeichen der Stadt, verehrt als schönstes Bauwerk dieses reinen Stils der Almohadenzeit. Seit über 800 Jahren wird der Turm bewundert, ließ sich auch vom Erdbeben im vergangenen September nicht erschüttern, das sonst große Schäden in der seit 1985 ins UNESCO-Verzeichnis aufgenommenen Medina angerichtet hat. Wir haben einen feinen Campingstandort am Rande der Stadt gefunden, bugsieren unser Mobil für unsere tausendund-erste Nacht aber dicht an die Altstadt und haben nur ein paar Schritte zum Place Jemaa el Fna, dem einstigen „Platz der Gehenkten“. Er ist von einigen drei- bis viergeschossigen Terrassencafés und sonst nichtssagender Bausubstanz umgeben. Seine Attraktivität speist sich aus dem Gewimmel der Menschen, dazwischen orientalische Gaukler, Wahrsager, Schlangenbändiger, Saftverkäufer und Garküche an Garküche, die hunderte Mäuler stopfen, auch nach Sonnenuntergang im Ramadan. Permanent strömen Menschenmassen auf den Platz. Erst nach 22 Uhr wird es richtig voll und abenteuerlich. Die Händler im Souk, der sich direkt an den Platz anschließt, räumen dann schon langsam ab. Ohnehin öffnen nur die Hauptachsen; in den Nebengassen sind die Schäden des Bebens noch nicht behoben. Viele kostbare maurische Portale brachen zusammen, werden von Restaurateuren neu erschaffen. Und das bei ungehemmtem Trubel. Vor allem strömen Inlandtouristen in die Stadt, aber auch Asiaten, Franzosen und manchmal Deutsche. Gesprochen wird arabisch, französisch und ein wenig englisch. Im Notfall hilft das Handy als Übersetzer. Wir lassen uns treiben und zahlen hier und da einige Diram für Häppchen oder ein Gaukelstück. Aber gern.
Unsere Kutschpartie um die Medina brachte wenig, so steuern wir Sehenswertes am Folgetag an. Als vielleicht schönstes Bauwerk der Stadt entdecken wir die Medersa Ben Youssef, eine ehemalige Koranschule. Damit die Studenten konzentriert lernen konnten, hatte jeder ein winziges Einzelzimmer, meditiert wurde in prachtvollen Gemeinschaftsräumen und im Innenhof, der aus edelsten Materialen gestaltet ist. Schon im 14. Jahrhundert errichtet, blieb die muslimische Lehrstätte bis 1960 aktiv.
Wir fahren ein Stück weit zur südlichen Medina, finden das Areal der alten Almohaden-Kashba. Die schöne Moschee trägt wegen ihrer Erdbeben-Risse Stützen, aber das unscheinbare Tor zu den Saaditen-Gräbern ist offen. Wir besuchen die königliche Nekropole. Schon 1351 wurde hier ein Sultan beerdigt, dann ab 1557 die Saaditen-Könige beigesetzt. Zwei Mausoleen sind zu bewundern, eines davon mit zwölf Säulen, deren mittlere eine Kuppel tragen. Die Zedernholzdecke ist reich bemalt, teils vergoldet.
Welche Würde, die über Jahrhunderte vorhält und Respekt gebietet. In den beiden Mausoleen sind insgesamt sieben Sultane und 62 Mitglieder ihrer Familien beigesetzt, weitere 100 Gräber befinden sich in dem von hohen Mauern umschlossenen Garten. Wir trennen uns vom Geist muslimischer Jahrhunderte. Draußen wartet geduldig unser von den Marokkanern immer wieder bewunderter Airadaile-Terrier Hamzah, den die vielen Katzen in diesem Land nervös machen. Sein Name bedeutet „der Löwe Gottes“. „Ist er heilig, der Hund?“ fragen vorsichtig die Marokkaner. Wird wohl so sein, was soll man sagen… Unser Weg führt heraus aus diesem Marrakesch der eintausendundersten Nacht. Gleich neben der alten Mauer wird die Straße vielspurig, immer wieder durch Kreisverkehre neu sortiert. Wir passieren in gebührlichem Abstand das bewachte Portal zur königlichen Residenz, erreichen prächtige Wohnviertel mit wunderbar bepflanzten Mittelstreifen zwischen jeweils drei Richtungsspuren. Ein Königliches Theater zeigt Bürgerstolz in europäischer Bauweise, der Marianne-Großmarkt, in dem wir unsere Vorräte ergänzen, stellt jeden hiesigen Supermarkt kulturell in den Schatten. Wir nehmen Kurs auf weitere Königsstädte.
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