Memory – GROSSE LAUSITZER BIOGRAFIEN: Johann Crüger

Johann Crüger
Johann Crüger,
Lithographie
des
19. Jahrhunderts
nach einem
Kupferstich
von 1640/41

Groß-Breesen sucht man auf einer Landkarte vergebens. Selbst wenn man auf der B 102 mitten hindurch fährt, merkt man nur an der ländlichen Kirche und dem Anger, daß man sich eigentlich in einem Dorf befindet, obschon das Ortsschild “Stadt Guben” verkündet. Nun, die Auflösung ist einfach: 1952 wurde das Dorf nach Guben eingemeindet. Nichts erinnert daran, daß hier einer der bedeutendsten Komponisten evangelischer Kirchenlieder geboren wurde. Nur wenn man das Gotteshaus betritt, und das ist bei evangelischen Kirchen häufig nicht einfach, kann man ein paar Informationen erhalten.

 

 

 

 

 

 

 

 

Urkunde
Die Titelseite des
Gesangbuches
“Praxis Pietatis
Milica” nennt stolz
die Herkunft des
Autors: “Von Johan
Crügern / Gub:
Lusato, Directore
Musices in Berlin”
Johann Crüger aus
Guben in der
Lausitz,
Musikdirektor in
Berlin

Von Guben in die Welt
Zufrieden stand Georg Crüger am 9. April des Jahres 1598 hinter dem Tresen in der Dorfschänke in Groß-Breesen. Das Glück war ihm heute, wie so häufig schon, hold gewesen. Seine Frau Ulrike, aus angesehener Pastorenfamilie stammend, hatte ihm einen gesunden Sohn geboren. Das Kind wurde auf den Namen Johann getauft. Wenig ist über seine Kindheit bekannt, man kann nur spekulieren. War es die neue Orgel in der Gubener Stadtkirche, die den musikalischen Sinn des Jungen weckte – welch gewaltige Töne strömten doch aus dem Gehäuse, oder war es ein Erbteil des mütterlichen Großvaters, des Pastors Kohlheim? Jedenfalls schon seit Kindertagen kam Johann Crüger mit Kirchenmusik in Berührung. Auf der Gubener Lateinschule erhielt er das Rüstzeug für eine weitere Ausbildung.
Mit 15 Jahren schon wurde Johann Crüger zum fahrenden Scholaren. Die Wanderschaft begann in Sorau, damals als Sitz des Landvogtes und Tagungsort der Landstände eine Art Hauptstadt der Niederlausitz, dann folgten Stationen in Schlesien und Mähren. Entscheidend für sein weiteres Leben aber wurde Regensburg, hier besuchte er ein Jahr lang die Poetenschule des Komponisten Paulus Homberger.
Über Preßburg (Bratislava) kam Crüger nach Berlin und wurde Hauslehrer, dann folgten vier Jahre als Schüler an seiner späteren Wirkungsstätte, am berühmten Gymnasium Zum Grauen Kloster. Etwa 1619 entstanden die ersten bekannten Kompositionen, zwei Hochzeitsmotetten. Doch an eine musikalische Laufbahn war noch nicht zu denken. Zunächst ging es auf die Universität in die Stadt Luthers, nach Wittenberg. Neben dem Theologiestudium muß Johann Crüger sich mit der Kirchenmusik seiner Zeit vertraut gemacht haben. Genaues ist nicht bekannt, aber 1622 erschien sein erstes größeres Werk, das “Lustgärtlein musikalischer Meditationen”. Die Wirkung muß gewaltig gewesen sein, denn er wurde daraufhin nach Berlin berufen.

 

 

 

 

 

Dorfkirche Groß-Breesen
Die alte Dorfkirche von Groß-Breesen (links) wurde für den heutigen Bau abgetragen. Aus der Zeit von Johann Crüger hat sich nur die Kanzel mit den Figuren dreier Evangelisten erhalten, die in den Altar eingefügt wurde.

Musikdirektor in Berlin
Mit 24 Jahren wurde Crüger Oberkantor der Nikolaikirche und des Grauen Klosters, ein ehrenvolles Amt, das wohl nur mit Genie und Fürsprachen erreichbar war. Vor allem aber war es ein anstrengendes, weil doppeltes Amt. Der Kantor hetzte am Tage zwischen Kirche und Gymnasium hin und her, denn der tägliche Besuch des Gottesdienstes war damals noch selbstverständliche Bürgerpflicht. Und Kirchenmusik und -gesang spielten neben der Predigt eine tragende Rolle. Außer dem “normalen” Gottesdienst gab es noch eine Vielzahl von weiteren Pflichten bei den regelmäßigen Vesper-Andachten, bei Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen, bei kirchlichen, schulischen und städtischen Festen. Vierzig Jahre konnte Johann Crüger diese aufreibende Tätigkeit ausüben. Woher nahm er daneben nur Zeit und Kraft für ein großartiges Werk, das bis in unsre Tage nachwirkt, für Kompositionen, für musikpädagogische und -theoretische Schriften, für die Zusammenstellung und Herausgabe von Gesangbüchern?

 

 

 

Dorfkirche Guben
Die Dorfkirche im Gubener Ortsteil Groß-Breesen wurde in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts erbaut, der Turm wurde erst um 1870/80 angesetzt.

Zwei Frauen, eine Krise
1628 heiratete Johann Crüger die Tochter des Bernauer Bürgermeisters Maria Behling, eine junge Witwe, die auch für finanzielle Unabhängigkeit sorgte. Über die Verwandtschaft hatte er nun direkte Verbindungen in die allererste Berliner Gesellschaft. Der Lausitzer Gastwirtssohn hatte einen für die damalige Zeit ungewöhnlichen Aufstieg geschafft. Doch was es auch war, der neue gesellschaftliche Stand, der Tod der geliebten Mutter und mehrerer Kinder, die Lasten des 30jährigen Krieges oder letztlich der Tod der Gattin, gefolgt von schweren Depressionen – die Jahre zwischen 1630 und 1640 waren eine Lebens- und Schaffenskrise. Erst eine neue Liebe führte Johann Crüger wieder zu neuer Kraft, zu neuen Werken. Eine Liebe, äußerlich vielleicht ungleich, denn Elisabeth Schmidt war 23 Jahre jünger, dafür aber gleichen Standes – Schmidts Lieschen war Gastwirtstochter. Auch wenn die Berliner die Nase rümpften, vierzehn Kinder waren der Beweis für eine erfüllte Ehe.

Jesu, meine Freude
1640 begann Crügers zweite Schaffensperiode, es erschien das erste lutherische Berliner Gesangbuch, das sowohl für den öffentlichen Gottesdienst als auch als privates Erbauungsbuch konzipiert war. 1643 lernte er Paul Gerhardt kennen, dessen Lieder er in eigener Vertonung schon in die zweite Auflage seines Gesangbuches aufnahm. Dazu fanden weitere zeitgenössische Dichter Aufnahme: der Schlesier Johann Hermann, der Hamburger Johann Rist und Crügers Landsmann aus Guben, der Jurist und Dichter Johann Franck, dessen “Jesu, meine Freude” auch heute noch hochgeschätzt wird. 1656 erschien dann Crügers Hauptwerk: “Praxis Pietatis Melica. Übung der Gottseligkeit in christlichen und trostreichen Gesängen…” Diese Liedersammlung wurde zum führenden evangelischen Gesangbuch in Deutschland bis weit in das 18. Jahrhundert hinein. Die Ausgabe letzter Hand (zu Lebzeiten) war 1661 schon die zehnte Auflage, 1702 erschien die neunundzwanzigste. Am 23. Februar 1662 verstarb Johann Crüger und wurde in der Nikolaikirche in Berlin beigesetzt. Sein Grab ist nicht erhalten, aber in vielen Liedern blieb er lebendig.
Siegfried Kohlschmidt

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