Erinnerungen an den kalten Februar 1871 – von Jürgen HEINRICH / Aus NIEDERLAUSTZ 20-21*.
Er war gewiss der mit Abstand auffälligste Sonderling unter allen Lausitzern – der Wahl-Cottbuser Hermann Ludwig Heinrich Graf (ab 1822 Fürst) von Pückler, geboren am 30. Oktober 1785 im damals schon sächsischen (zwischendurch preußischen) Muskau und im deutschen Schicksalsjahr 1871 als utopischer Materialist gestorben.
Cottbuser war er nur auf bekennende Weise. Branitz, der Sitz seiner Vorfahren, gehörte noch nicht zur Stadt, aber Pückler engagierte sich hier, lebte mit bürgerlichen Kreisen, die seine Abendgäste waren, und wurde erster Ehrenbürger dieser aufstrebenden Industriestadt, deren Qualmwolken aus vielen Schloten bei Nordwestwind bis in sein Parkidyll rußten. Neben der Gabe, Kunst und Natur zu ganz eigenen Schöpfungen zu verweben, war Pücklers Lieblingsbeschäftigung das Reisen. Es machte Pückler wahrhaft glücklich und prägte auch seine gartenkünstlerischen Intentionen und Horizonte. Manche seiner eingefangenen Impressionen ergrünten „im Reiche der Natur zu gestalteter Kunst“ in Branitz: englische Parklandschaft, ägyptische Pyramiden, Statuen auf Sockeln wie in Rom oder Griechenland. Er lebte in den Welten, die in seinen Erinnerungen verschmolzen…
Pückler pflegte auch in seinen letzten Lebenstagen, wie früher schon, die Nacht zum Tage zu machen, erinnert sich sein Leibarzt Dr. Wilhelm Ludwig Liersch aus Cottbus: „Er brachte oft den ganzen Tag im Bette zu, las, schrieb, empfing selbst intime Bekannte in seinem durch Vorhänge halbverdunkelten Boudoir, stand erst gegen Abend auf, um seine übliche sorgsame Toilette zu machen und ein Bad zu nehmen, und begrüßte dann in seinem bekannten türkischen Costüme die zum Abend- diner geladenen Gäste, um sich ihnen bis nach Mitternacht als der liebenswürdigste Wirth zu zeigen.“
Pückler war von starker Gesundheit. Er hielt den Körper, nicht aber den Geist für sterblich und wünschte sich nach dem Tode die Versetzung des entwickelten menschlichen Geistes (auch seines eigenen) in „einen schöneren und vollkommeneren Weltkörper.“ Aber erst in zehn oder etwas mehr Jahren. Liersch, sein Arzt, konnte sich immer wieder wundern: „Selbst in seiner letzten Lebenszeit bewegte er sich in der Unterhaltung immer noch so frei, dass er stets der Mittelpunkt derselben blieb und gewandt auf alle Eigentümlichkeiten seiner Gäste und Freunde einzugehen wusste.“
Nicht nur Liersch führte einen Teil der pücklerschen Besonderheiten auf das französische Blut der Mutter zurück. Gräfin Clementine Callenberg auf Muskau, bei Pücklers Geburt selbst fast noch ein Kind, war eine Tochter der französischen Gräfin Olympia de la Tour du Pin.
Doch alles ist endlich. Zu Weihnachten 1870 litt der Fürst an einer Grippe. Übliche Hausmittel wirkten auch über den Jahreswechsel nicht. Dr. Liersch war tiefbesorgt, und das zu Recht. In seinen Erinnerungen schreibt er: „Die Nacht des 4. Februar werde ich nie vergessen. Es war ein finsterer, stürmischer Abend, als ich zu dem Schwerkranken hinausfuhr. Wo sonst die Bedienten so lebendig und geschäftig durch die hellerleuchteten Corridore stürzten, war alles still, und jeder ging schweigend und beklommen an dem anderen vorüber. In dem schwach erleuchteten Schlafgemache lag der Fürst wie von einem sanften Schlafe umfangen.“ Nur hin und wieder habe er leise einige kaum verständliche Worte, die an seinen Park und seine treuen Rosse erinnerten, gemurmelt. Liersch notierte weiter: „Mit Geheimsecretär Billy Masser saß ich bis elf Uhr, still beobachtend, an diesem friedlichen Sterbelager. Gegen Mitternacht wurde der Atem immer langsamer und äußerst sanft. Ohne jeglichen Todeskampf hauchte der Fürst seinen letzten Atem aus. Es war fünf Minuten vor zwölf, am 4. Februar 1871. In stiller Wehmut drückte ich ihm die Augen zu.“
Das deutsche Kaiserreich war 17 Tage zuvor in Versailles ausgerufen worden. Bei erhaltener Gesundheit hätte Pückler wohl im Spiegelsaal unter den Fürsten gestanden. Nun aber versammelte sich lokale Elite um ihn. Was der Verblichene den Ärzten und Hinterbliebenen per Testament zumutete, war – abgesehen von der im strengen Frost gar nicht möglichen Überfahrt zum vorbereiteten Stollen der Pyramide – so extravagant, wie die meisten Lebensphasen Pücklers. Knapp und klar steht im Testament: „Mein Leichnam soll … chemisch oder auf andere Weise verbrannt und die übrigbleibende Asche in eine kupferne, demnächst zu verlöthende Urne gethan und diese in den Tumulus des Branitzer Parkes eingesetzt werden.“
So geschah es. Dem Testament entsprechend wurde also der Körper geöffnet, als Todesursache „allgemeine Alterserschöpfung, Marasmus senilis“ zu Protokoll genommen und dann zunächst das Herz in eine Glasphiole gegeben, mit Schwelfsäure übergossen, das Glas in eine kupferne Urne gestellt und diese verlötet. Der Leichnam hingegen wurde in einem feinen Laken in einen Metallsarg gelegt, mit Aetznatron, Aetzkali und Aetzkalk durchtränkt und der Behälter dann verschlossen.
Ein, zugegeben, wenig pietätvoller Vorgang. Aber er war genau so von dem Verstorbenen gewollt. Der Mann des Gartenreichs empfand tiefe Abscheu bei dem Gedanken, sein Leib würde von Würmern zerfressen und seine Gebeine irgendwann im Gelände verstreut.
Nun also stand die allerletzte Reise bevor: Man öffne den Tumulus!, die Pyramide im See. Am 9. Februar herrschten zehn Grad Kälte, Sturm und Schneegestöber.
Im Schloss fand eine würdige Trauerfeier statt. Von der Ägyptischen Treppe zum Stollen in der Pyramide war ein Steg über das Eis gezimmert worden, und der prachtvolle eichene Sarg wurde vor den Augen einer trauernden Gemeinde an die gewünschte Stelle getragen. Dort steht er wohl noch, am Kopfende das, was vom heißen Herzen des grandiosen Fürsten geblieben ist.
150 Jahre älter ist heute sein Park. Gärtner Bleyer und Reichsgraf Heinrich von Pückler haben ihn im Sinne des Schöpfers vollendet. Generationen von Parkgärtnern und engagierten Parkfreunden haben ihn gehegt und gepflegt, auch vor Zugriffen in schweren Zeiten bewahrt. Ein noch immer bewundertes Lebenswerk!
Ludmilla Assig, die Biografin, der Pückler die Ehe im Himmel versprach, schreibt am Ende ihrer fünfzig Kapitel: „Er wird unvergessen bleiben, sowohl durch das Gute und Schöne, das er gewirkt, als auch als psychologisches Studium einer seltenen Persönlichkeit, zu dem man häufig wieder zurückkehren wird. Pückler sagte einmal in den Briefen eines Verstorbenen: ‘Es ist ein so süßes Gefühl, beim Tode zu wissen, dass man auch jetzt noch jemand zurücklässt, der unser Andenken mit Liebe pflegen wird, und auf diese Art, so lange Jenes Augen sich dem Lichte öffnen, noch gleichsam fortzuleben in und mit ihm.’
Dieses liebende Andenken fehlt Pückler nicht.“
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