Vom Vaterstreit der Cottbuser BuGa

Als Deutschland noch schwarz-gelb aus Bonn regiert wurde, schrieb der SPIEGEL: „Jürgen Türk, 50, fühlt sich auch nach sechs Jahren im Bundestag etwa so heimisch wie ein Außerirdischer, der von seinem Raumschiff einfach abgesetzt und vergessen wurde. Das er Teil einer regierenden Koalition ist, gerät ihm zuweilen aus dem Blick. Denn ob Steuergipfel oder Rentendebatte, ob Gesundheitsreform oder Koalitionskrach – einer ist garantiert nicht dabei: Jürgen Türk.“
Inzwischen wurde der Kolkwitzer Liberale 75, die vier Legislaturperioden im Bundestag, zwei in der Regierung, zwei in der Opposition, liegen weit zurück. Weit genug, um abgeklärt ein Buch zu schreiben, das den Übrigen aus „seinem Raumschiff“, den Ossis, kurzweilig erklärt, warum es so war, wie der SPIEGEL schrieb, und warum viele im Osten auch heute noch einigermaßen fremdelnd durch diese Bundesrepublik irren, manche sogar verirrt mit „Wir sind das Volk“-Rufen aus einer anderen Zeit.
Türk beteuert, er sei kein Schriftsteller, und er hat sich auch keines Ghostwriters bedient, wie manch bekannter Politiker. Sein Erinnerungsbuch liest sich wie eine teils schalkhaft beobachtete Mitschrift des Zeitgeschehens. Der Autor beruft sich auf die naive Kompetenz des Ingenieurs (bis 1989 in leitender Position bei BuS Welzow), der überwiegend unlogische Prozesse des politischen Geschäfts zwar durchschaut, aber nicht bereit ist zu akzeptieren.
Die Gliederung des Buches in zehn Kapitel und einen (leider fehlgeschlagenen) Epilog und darin in kurze Aufsätze, die fast immer mit einer (enttäuschten) „Erleuchtung“ enden, macht das Lesen leicht, wenn nicht gar vergnüglich.
Jürgen Türk hat sich keinesfalls zu einer grummelnden „Abrechnung“ hinreißen lassen, sondern vielmehr akzeptiert, dass die Prozesse in der Politik viel Zeit brauchen und seine kleine Partei dabei nicht immer über ausreichend Personal verfügte, aus gewiss guten Absichten tatsächliche Erfolge zu entwickeln.
Türk hat sich als gewählter Lausitzer Abgeordneter wohl auch in der Welt herumgetrieben (Fernost, Kanada u.a.), immer hiesigen Investorennotstand im Hinterkopf, aber er hat sich vor allem deutlicher als seine damaligen Kollegen aus CDU und SPD vor Ort nützlich gemacht. Die „Vaterschaft“ der Cottbuser Bundesgartenschau 1995 ist hier gelegentlich bestritten worden, doch sein Anspruch besteht zurecht. Das Bonner Tulpenfeld, in dem sein Büro stand, war Bestandteil einer früheren Bonner BuGa und hat ihn inspiriert, eine Gartenschau als Wirtschaftsmotor der Lausitz für das Jahr 2 000 an kompetenter Stelle ins Gespräch zu bringen. Als dann Berlin den Rückzieher für 1995 machte, bescheinigt Türk dem damaligen Cottbuser OB Kleinschmidt herausragende Fähigkeiten, gegen viele Widerstände eine glänzende BuGa in nur vier Vorbereitungsjahren geschafft zu haben. Nur ein Versehen der Kleinschmidt-Administration bleibt wahrlich unverzeihlich: Türk bekam keine Einladung zur BuGa-Eröffnungsfeier!
Ganz anders die Großgemeinde Kolkwitz. Hier „erfand“ Jürgen Türk ein Oktoberfest, das mit Unterstützung der Freiwilligen Feuerwehr und vielen Partnern im Ort zum Heimatfest schlechthin avancierte, wobei der Urheber bis heute gebührend gewürdigt wird. Auch für die IBA „Fürst-Pückler-Land“ hat sich der „Exot“, der laut SPIEGEL „einfach nicht ins Bonner Raster“ passte, stark gemacht.
Im Land Brandenburg waren Türks liberale Impulse nie ausreichend stark. Er selbst blieb in der DDR-Zeit (die er nicht sehr genau aber humorvoll beschreibt), immer parteilos, fand erst 1989 zur damals progressiven LDPD und kam zur bunten Würfeltruppe FDP aus einigen Blockfreunden und alten wie neuen Genscher-Anhängern. Nach einer arbeitsreichen Legislatur im Landtag erntete die SPD deren Erfolge und die Liberalen, eitel und zerstritten, dümpelten in Landtagswahlen bei 1 bis 3 Prozent.
2005 nahm Jürgen Türk Abschied von der „großen Politik“. Andere hatten ihm den Listenplatz 1 im Lande streitig gemacht und versuchten nun, ihre Herkunft aus dem „Raumschiff Ost“ gar nicht erst erkennen zu lassen. Über Ergebnisse dieses Bemühens ist kaum etwas bekannt, während Jürgen Türk als Kreistagsabgeordneter politisch „abtrainierte“ und sich ansonsten endlich Familie gönnt. Seine Frau, betont er, war ihm immer eine zuverlässige Ratgeberin. Mit ihr unternimmt er nun die Reisen, für die in turbulenter Punktejagd zwischen Bonn, Berlin und Kolkwitz kaum Gelegenheit war. Neue Liberale, die sich jetzt in der Lausitz und Potsdam ans Werk machen, nutzen gern Ratschläge des „alten Hasen“ und haben gar Lust auf „Wir sollten reden“. Das Buch von Jürgen Hellmut Türk ist 300 Seiten stark und im Buchhandel zu haben. J.Hnr.

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