Trotz Gerichts-Chaos: Cottbuser Stadtpolitik und LWG treffen kluge und pragmatische Entscheidungen.
Cottbus (MB). Sparsame 100 Liter bestes Trinkwasser verbraucht im Durchschnitt jeder Cottbuser am Tag. Das sind 1/5 weniger als im bundesdeutschen Schnitt, der bei rund 125 Litern täglich liegt. Das gebrauchte Wasser fließt nach aufwendiger Reinigung in der Kläranlage zurück in die Natur. In Cottbus wird es in die Spree eingespeist, wo es dringend benötigt wird.
Für ihren Abwasserservice zahlen die Cottbuser pro Tag etwa 46 Cent. Davon entfällt ungefähr ein Drittel auf den Aufwand zur Herstellung der Abwasseranlagen. Der Rest deckt Betriebskosten für Personal, Verwaltung, Energie, Instandhaltung und vieles andere. Um den ersten Teil, den Herstellungsaufwand der Abwasseranlagen, werden derzeit Rechtsstreitigkeiten ausgetragen. Hierbei geht es u.a. um Gebühren, Beiträge, hypothetische Festsetzungsverjährung und Vertrauensschutz.
Getrübte Hoffnungen
Viele Cottbuser erinnern sich noch an die Gerichtsverfahren um die sogenannten Altanschließerbeiträge. Groß war die Erleichterung, als die Stadtverordnetenversammlung 2017 die Aufhebungs- und Erstattungssatzung verabschiedete. Alle eingenommenen Beiträge wurden in Millionenhöhe zurückerstattet. Fortan musste der Herstellungsaufwand der Abwasseranlagen in Cottbus komplett und „rein“ über die Gebühren finanziert werden. Mit diesem Schritt verknüpfte die Stadt Cottbus die Hoffnung, eine gerechte und akzeptable Lösung gefunden zu haben.
Doch diese Hoffnung wurde durch Urteile des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgericht Cottbus erst einmal getrübt.
Eine Frage des Vertrauens Worum geht es in diesen Urteilen und welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Kurz gesagt, es geht um Beiträge zur Deckung der Herstellungskosten, die aus unterschiedlichen Gründen wie ungültige Satzungen, Verjährung oder Festsetzungsverjährung nicht erhoben werden konnten oder wie im Fall von Cottbus zurückerstattet wurden.
Bildet sich aus bestimmten Gründen im Prozess der Beitragserhebung ein Vertrauensschutz, der durch die Verfassung geschützt ist, so kann die ursprünglich angedachte Beitragsfinanzierung der Herstellungskosten nicht mehr durch eine Gebührenfinanzierung ersetzt werden. In der Endkonsequenz bleibt der Aufgabenträger zumindest auf einem Teil der Herstellungskosten sitzen.
Unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes urteilte das Verwaltungsgericht in Cottbus, dass es auch hier vergleichbare Fälle geben muss und erklärte daher die Gebührensatzung für unwirksam.
Ein Loch im Haushalt
Nun bekamen die Aufgabenträger – Gemeinden, Verbände und Dienstleister – Hausaufgaben. Sie mussten ermitteln, in welcher Höhe Beiträge aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht mehr über Gebühren erhoben werden dürfen. Diese Beiträge, die in Cottbus entweder noch nicht erhoben wurden bzw. komplett rückerstattet wurden, bilden in Summe das sogenannte „fiktive Abzugskapital“. Dieses wird nun über die Lebensdauer der Anlagen anteilig aufgelöst. Bei einem Abwasserkanal können dies 50 Jahre und mehr sein.
Der jährliche fiktive Auflösungsbetrag mindert rechnerisch den Aufwand und führt zu einer Gebührenreduzierung. Wenn aber im Rahmen der Gebührensatzung Abzugskapital gebildet wird, vermindert dies im Ergebnis die Einnahmen der Stadt Cottbus aus den Abwassergebühren. Dieser Minderbetrag fällt dem Haushalt der Stadt zur Last und muss im Ergebnis ausgeglichen werden.
Die finale Rechnung
Die schwierige Aufgabe der Ermittlung des fiktiven Abzugskapitals überließ der Richter am Cottbuser Verwaltungsgericht ausdrücklich dem Aufgabenträger. Für die herausfordernde Rechenaufgabe fand sich eine interfraktionelle Arbeitsgruppe aus Politik und Verwaltung zusammen, ergänzt um die LWG Lausitzer Wasser GmbH & Co. KG als Dienstleister und weitere kompetente und erfahrene Rechts- und Wirtschaftsberater. Nach umfangreicher Daten- und Rechtsanalyse bestätigt das Gremium, dass aufgrund der neuen Rechtsprechung tatsächlich ein fiktives Abzugskapital gebildet werden muss. Es handelt sich hierbei um einen einstelligen Millionenbetrag und damit deutlich weniger als die durch die Lokalpresse kolportierte 3-stellige Millionensumme.
Lösung ohne Staffelung
Zugute kommt der Kalkulation, dass nicht alle Beiträge, die in Cottbus erhoben werden sollten bzw. erhoben wurden, unter den Vertrauensschutz fallen. So beinhaltete die Kalkulation auch Beträge für erst in der Zukunft geplante Maßnahmen, bei denen kein Vertrauensschutz denkbar ist.
Die interfraktionelle Arbeitsgruppe wollte nicht nur eine rechtlich und wirtschaftlich fundierte Lösung finden, die vor Gericht besteht. „Wir streben im Schmutzwasserbereich weiterhin einheitliche Gebühren für alle Cottbuserinnen und Cottbuser an, wenn das rechtlich möglich ist“, so Oberbürgermeister Tobias Schick dazu.
Jetzt Widersprüche
befrieden Bleibt die Frage, wie hoch eine Einsparung durch das zu bildende fiktive Abzugskapital sein wird? Von den anfänglich veranschlagten 46 Cent pro Tag, die jeder Cottbuser für die Abwasserentsorgung aufbringen muss, läge eine Einsparung bei etwas weniger als einem Cent. Dieser Betrag summiert sich auf durchschnittlich 2 bis 3 Euro pro Jahr!
Der beschriebene Weg sollte rückwirkend in den Gebührensatzungen der Jahre 2023 und 2024 sowie in der neuen Satzung für das Jahr 2025 Berücksichtigung finden. Damit sollten die zahlreichen Widersprüche gegen die Abwasserbescheide 2023 befriedet werden. Doch dann sorgte das Oberverwaltungsgericht Berlin- Brandenburg (OVG) für eine Überraschung.
Gegen normales Rechtsempfinden
Nicht weniger als eine Kehrtwende um 180 Grad vollzog das höchste Verwaltungsgericht in Berlin-Brandenburg mit einem bemerkenswerten Urteil am 23.10.2024 . Es urteilte in komplettem Gegensatz sowohl zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als auch des Verwaltungsgerichts in Cottbus. Zu einem Gebührenstreit in der Stadt Falkensee befand das OVG, dass das Absetzkapital nur durch tatsächlich gezahlte Beiträge gebildet werden kann. Und damit ist das fiktive Absetzkapital genau das, was es schon immer war – eine Luftnummer. Warum sollte jemand für nicht gezahlte Beiträge einen Abschlag auf die Gebühren erhalten? Das entspricht in keiner Weise dem Rechtsempfinden.
Das Urteil des OVG legt fest, dass ein Vertrauensschutz, der sich für Beiträge gebildet hat, nicht automatisch auf Gebühren ausgeweitet werden darf.
Fazit
Die Gerichte werden wahrscheinlich noch Jahre beschäftigt sein, bis es zu einem endgültigen Urteil kommt. In Cottbus sind bis dahin kluge und pragmatische Entscheidungen gefragt, die die Rechte aller Gebührenzahler wahren, aber auch die Haushalte der Kommunen schützen. Auf der Basis des wegweisenden Urteils des OVG hat die Interfraktionelle Arbeitsgruppe entschieden, dass – bis zu einer endgültigen gerichtlichen Klärung – die Gebührensatzungen der Jahre 2023 und 2024 unangetastet bleiben. In der neuen Gebührenkalkulation für das Jahr 2025 wird kein fiktives Abzugskapital Berücksichtigung finden.
In der letzten Sitzung des Jahres hat die Stadtverordnetenversammlung am 18.12.2024 mit großer Mehrheit die neue Gebührensatzung zur Schmutzwasserbeseitigung verabschiedet, mit einem erfreulichem Ergebnis für die Cottbuser Bürger: Die Schmutzwassergebühr sinkt von 3,92 Euro/m³ auf 3,91 Euro/m³. Das ist zwar nur 1 Cent weniger, aber deutlich besser als die starken Anstiege in anderen Entsorgungsbetrieben in der Region.
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