Baronin Martha von Seydlitz: die Gräfin von Werben

Gräfin von Werben
Baronin Martha von Seydlitz aus dem Werbener Hause von Oetinger war in Cottbus und Umgebung als „Gräfin von Werben“ bekannt.

Viele Cottbuser und Niederlausitzer erinnern sich liebevoll an diese Frau, die in einer, aus der Zeit gefallenen eleganten Garderobe der Kaiserzeit noch in den 1960er und frühen ‘70er Jahren, oft als Passagier der unvergessenen Spreewaldeisenbahn, zwischen Cottbus und ihrem Heimatort Werben unterwegs war. Es handelte sich um Martha Baronin von Seydlitz, geboren am Sonntag vor 135 Jahren (20. März 1887:).
Hartnäckig hält sich die Legende, „die Gräfin“ sei 1945 „von den Russen verschont“, ja sogar geschützt worden, weil ein von Seydlitz General in Stalingrad und schon bald führender Mann im Nationalkomitee Freies Deutschland war. Es hätten sogar gleich nach der Befreiung russische Wachsoldaten zu ihrem Schutz vor ihrer Haustür gestanden. Die Familie dementiert: Wie so viele deutsche Frauen musste auch Martha von Sydlitz Vergewaltigung ertragen. Die Angst hörte erst auf, als sich zwei russische Offiziere in ihrem Haus einquartierten.
Die Eltern der unvergessenen Werbenerin waren Günther von Oetinger und Johanna Ullmann, Adelsleute in kleinbäuerlichen Besitzverhältnissen. Beide hatten 1884 geheiratet. Die Frau war getaufte Jüdin und brachte aus ihrer Weimarer Zeit den Schöngeist nach Werben. Tochter Martha wurde in einem Pensionat in Weimar erzogen und verbrachte dann, musizierend und flott reitend, eine lebhafte Jugend in Werben. 21-jährig heiratete sie den Husarenoffizier Hermann von Seydlitz, einen späteren Major der Wehrmacht, von dem sie schon 1923 geschieden wurde. Beide hatten den Sohn Friedrich Wilhelm und die Tochter Marietta.
Baronin Martha von Seydlitz lebte fortan mit ihrer Mutter im alten Werbener Herrenhaus. Nachdem 1925 der Vater gestorben war, wurde es wirtschaftlich eng für die Frauen. Werbens Historiker Siegfried Ramoth berichtet: „Die Baronin entfaltete mit viel Poesie eine Schloss- herrenromantik, die mit der Realität wenig zu tun hatte. Vor allem aber glaubte sie, ewig jung bleiben zu können. Sie sah auch immer viel jünger aus, als sie wirklich war.“
Den Verlust ihres gesellschaftlichen Ansehens in der neuen Ordnung konnte sie nur schwer ertragen. „Prunkvolle“ Gewänder wurden Teil einer Scheinwelt, die sich finanziell wohl nur aus den Westpaketen ihrer Kinder speiste. Bei Nachbarn und einfachen Leuten war sie gern gesehen. Sie gönnte sich im Briesener Spreewaldbahnhof gelegentlich auch mit den Bauern einen Spreewaldlikör. In Cottbus war der „Schwan“ an der Ecke Karl-Liebknecht-/Bahnhofstraße ihr Lieblingslokal, wo sie sich vor den Erledigungen in der Stadt einen Mokka mit Kognak leistete.
Als es der Baronin gesundheitlich schlecht ging, zog sie zu den Kindern nach Lüneburg. Sie starb am 20. April 1975.

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