Guben: Tausende zogen hier gen Westen

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Kastaniengraben, Blick Richtung Wilhelmsplatz, um 1917

Kastaniengraben war einst Teil der Stadtbefestigungsanlagen
Die markanten Häuser machten unser Rätselbild offenbar zu einer leichten Aufgabe, obwohl sich das Gebit doch erheblich verändert hat.
Wolfgang Donat erzählt am Telefon: „Hierbei handelt es sich um eine Teilansicht des ‘Kastaniengrabens’. Um 1790 war er noch Teil der Stadtbefestigungsanlage in Form eines 16 Meter breiten Stadtgrabens. Um 1840 wurde er aufgefüllt und zur Straße umfunktioniert.
Zur Zeit der Aufnahme und laut Einwohnerbuch von 1914 befand sich im Haus rechts der Straße das Restaurant ‘Gesellschaftshaus’. Der Schriftzug ist am Haus erkennbar. Dieses Haus wurde laut Einwohnerbuch von 1930 als Finanzamt geführt. Als solches war es bis 1945 im Dienst. Ab Februar 1945 beherbergte es den polnischen Stadtkommandanten. Danach war es Lehrlingswohnheim und heute das Hotel ‘Nysa’. Die Häuserfront auf der linken Seite steht heute noch. Der Platz davor war der Ammenplatz. Er war Treff der Kindermädchen mit Kindern betuchter Familien.“
Auch für Eberhard Wittchen war die Lösung klar. Er schreibt außerdem: „Es ist eine Abbildung aus den 1920er Jahren. Die Blickrichtung geht nach Süden, im Rücken des Fotografen geht es zur Königstraße.
Parallel links zur Straße in ca. 50 Meter Entfernung befindet sich der Flusslauf der Lubst und der östlich gelegene Hindenburg-Platz.
Im Hintergrund ist der Wilhelmsplatz mit seiner Parkanlage zu erkennen.
Hinter der Häuserfront links gab es zwei Fußgängerbrücken über die Lunst zum Schreibers Weg bzw. Schemels Weg. Eine der Brücken war eine städtische Brücke an der Litfaßsäule, 1926 während des Hochwassers zerstört und noch einmal nach Kriegsende 1945. Die zweite war eine Privatbrücke des Fabrikanten Schemel. Sie war weiß gestrichen und für den öffentlichen Verkehr freigegeben. Diese Brücke existiert heute noch.
Da sich in der Nähe mein Elternhaus befand, war dieses Gebiet für uns Kinder das Spielgelände.
Im Finanzamt, Kastaniengraben 31, hatte während der Kämpfe um Guben am Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 der Kampfkommandant Major Theermann, später Oberst Berger, seinen Gefechtsstand einquartiert.
Als am 20. Juni 1945 alle deutschen Bewohner ihre Heimatstätten östlich der Neiße verlassen mussten, zog auch meine Familie gemeinsam mit Tausenden von Menschen durch
diesen Kastaniengraben in den westlichen Teil unserer Heimatstadt.“
Bärbel Koschack datiert das Foto noch vor den 20er Jahren. Sie fand heraus: „Das Foto zeigt den Kastaniengraben um 1917. Vor 1840 waren der Kastaniengraben wie auch der Lindengraben offene Stadtgräben hinter der Stadtmauer. Mit der Auffüllung der Gräben etwa 1840 entstanden Wälle, die mit Kastanien bzw. Linden bepflanzt wurden. Beide hießen dann Promenade. Es waren schöne Fußgängerpromenaden ohne Verkehr. 1910 wurde die Promenade gepflastert und ab dann Kastaniengraben genannt. Die 1848 unter Bürgermeister Ahlemann gepflanzten Kastanien wurden entfernt, aber nach dem Pflastern neue
gesetzt. Es war dann eine Verkehrsstraße. Auf dem Foto von 1917 sieht man die noch jungen Bäume.
Das Gebäude rechts war ab ca. 1920 das Finanzamt. Sein Vorgängergebäude, das ‚Liersche Theater’, 1850 bis 1873, diente bis zum Neubau des Stadttheaters 1874 als Ersatztheater. Danach wurde das Gebäude abgetragen und ein neuen Haus, das Restaurant ‚Gesellschaftshaus’ entstand. In ihm fanden gesellige Abende der Vereine statt. Seit 1907 gab es im Hohlweg Nummer 2 auch ein Restaurant mit dem Namen ‚Gesellschaftshaus’ als private Gaststätte und Tanzlokal. Es existiert eine Postkarte mit Poststempel vom 31. August 1917, sie ist abgedruckt im Buch ‚Nachbarn von einst’ von Andreas Peter. Das Finanzamt war zuständig für Stadt und Landkreis Guben sowie Crossen und Zyllichau. In der Nummer 16 des Kastaniengrabens befand sich von 1878 bis zur Kristallnacht 1938 das Zentrum der jüdischen Gemeinde – die Synagoge. Ein Denkmal erinnert heute an sie. Fast alle Häuser wurden im Krieg zerstört. Im Finanzamt war nach 1945 das erste Hotel von Gubin, es hieß ‚Nysa’. Heute ist eine Pizzeria und ein Gasthaus in der Nummer 23 der ul. Generala Dabrowskiego, benannt nach einem Befehlshaber der Streitkräfte der Pariser Kommune.“ Vielen Dank allen Ratefreunden und vor allem für die detailreichen Schilderungen. Ein reproduziertes historisches Bild im Rahmen gewinnt diese Woche Elsa Wieder. Herzlichen Glückwunsch!