Kommentar: Fehlstart

Die ausklingende Woche hat mit einem historischen Datum begonnen, das in öffentlicher Wahrnehmung kaum noch eine Rolle spielt: 1. Juli 1990 – drei Monate vor der Einheit trat die Wirtschafts- und Währungsunion in Kraft. Vor 35 Jahren.

Es war ein Sonntag, einer von diesen merkwürdigen Sonntagen, die schwer in Gang kamen, weil von ihnen eigentlich, außer „die faule Haut zu pflegen“, nichts erwartet wurde. Die Sparkassen verschenkten geschredderte Ostmark in Plastikbeuteln und hatten alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sich mit ausreichend D-Mark auszustatten. Doch die erwarteten Menschenschlangen blieben aus. Die das Geld brauchten, die seit Monaten hyperaktiven Neugründer, agierten bargeldlos. Den anderen saß die Ernüchterung vom Umgang mit den geschenkten hundert Mark Begrüßungsgeld noch in den Knochen. Kohls Demütigung für ein fleißiges Volk, das sich eben mutig von erdrückender Diktatur befreit hatte. Die belebende Debatte über den Sinne des Daseins brach mit jenem 1. Juli ab – verschüttet unter Westgeld-Allmosen, die nur wenigen Glück brachten. Auch das Erscheinen unserer neuen Zeitung, des „Cottbuser General-Anzeigers“ (ab Juni 1991 „Märkischer Bote“) erwies sich im Gegenwind von innen und außen als Fehlstart. Immerhin konnte das Blatt ein „kleines Licht“ im neuen Dunkel anzünden und bis heute manchem Leser orientierend helfen.

Wer Anschluss an die Gedankenwelt des Aufbruchs vor dem Geldumtausch sucht, hat vielleicht Glück mit der „Welbühne“, die seit Juni wieder am Kiosk liegt. Nicht für 50 Pfennige wie einst, sondern für 11 Euro das Heft. Dafür druckt es Klartext, zum Beispiel in der Widmung zur aktuellen Lage : „Jetzt hat Fritz das Sagen. Und der will seine langen Kerls. Will, dass wir Schulden machen und Ballern üben. Damit wir wieder ‘wer’ sind, sagt er. Aber wer wir dann sind, das sagt er nicht.“ Der fehlgestartete Fritz hat jetzt die Idee, über die „Integration“ der Menschen im Osten nachzudenken. J.H.