Kommentar: Freudsche Freude

Großer Termin in Cottbus, aber nur kleiner Bahnhof. Mit dem Ersten Spatenstich ist trotz düsterer Kriegswolken der wichtigsten Lausitzer Großbaustelle etwas offizieller (keineswegs öffentlicher) Glanz gegeben worden. Sogar Kanzler Scholz war für Momente (für Mikrofone und Kameras) anwesend. Eine ganze Milliarde sollen die sechs überdachten Gleise kosten, die hier bis 2026 entstehen, um komplette ICE-Züge der neusten Generation zu warten. 1 200 Menschen sichert das im traditionsreichen RAW gut bezahlte Arbeit, heißt es. Von Aufbruch, Klimatransformation und Verkehrswende war gleich die Rede. Und das an einem Ort, der vor der Wende als zentraler Containerbahnhof mit großem Portalkran perfekt ausgebaut war. Genau das, was heute gegen das Chaos der industriellen Lagerhaltung auf den Autobahnen gebraucht würde. Öl- und Gaskrise werden diesem System zusetzen. Von der Feier auf der ICE-Hoffnungsbaustelle ist deshalb wohl kaum etwas verlautet außerhalb der Lausitz. Mit Kanzler Scholz darüber zu reden, war selbstverständlich aussichtslos. Und so verwundert es nicht, dass aus dem Cottbuser Stadtmarketing eine klassische Freudsche Fehlleistung frohlockend-stolz ins Facebook rutschte: „Cottbus begrüßt Europas modernstes Bahnwerk und Kanzler Schröder. Hier wird mit ICE-Tempo Zukunft gestaltet.“
Ja, als Schröder noch kanzlernd unterwegs war, ging der auf Leute zu, drückte Hände, klopfte Schultern, ließ sich auf Gespräche ein. Die besten Erinnerungen daran sitzen tief. Das aber ist vorbei. Scholz dreht ab, bevor jemand die erste Frage stellen kann. Seine Regierung ist nicht die bürgernahe, die sich das friedliebende deutsche Volk erhofft hatte, die es verdient und dringend braucht.
Und dieses großartige Bahnwerk begleiten im Augenblick mehr Fragen als Antworten. Vor allem diese: Was helfen uns hier die schnellsten Züge, wo doch aus der Lausitz nach Berlin, Leipzig, Dresden und Breslau nur sehr langsame Gleise führen? J.H.

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