Peinlich – gewiss. Aber überbewerten sollte man die Panne bei der gepatzten Kanzlerwahl nicht. Auch nicht runterspielen, wie das Friedrich Merz im ersten TV-Interview am gleichen Abend tat. Es sei „normal, dass nicht alle zustimmen.“ Das ist es nicht. Außer eben in diesem Falle.
Nicht nur im Bundestag, sondern auch überall im flachen Land haben nicht wenige Menschen ein ungutes Gefühl angesichts der Machtfülle, die diesem Sauerländer nun zufällt. Mehrfach stellte er im heißen Wahlkampf unter Beweis, wie fremd ihm die Spielregeln des Regierungsgeschäfts auf demokratisch gebohnerter Bühne sind. Solitäres Vorprellen ohne Rücksicht auf Mehrheiten kann geradezu gefährlich sein. Der Verlust von Zustimmung aus dem verprellten eigenen Lager ist da noch das kleinste Übel. Man denke nur an die nassforsche Erklärung des Spitzenkandidaten, nach seiner Wahl die Ukraine gleich mit Taurus-Raketen auszustatten. Wird er das jetzt tun? Wird er den Kanzlerbonus an sich reißen oder vielleicht doch zunächst Vertrauen im Kabinett und dann darüber hinaus aufbauen?
Merz haftet nun dieser kleine Makel an, nach 75 Jahren der erste Kanzler zu sein, der erst im zweiten Wahlgang die erforderliche Mehrheit erreichte. Na und? Adenauer als erster Kanzler setzte sich nur dank seiner eigenen Stimme durch. Und er hat seinen Job nicht schlecht gemacht, denn er hatte das Regieren als OB von Köln gelernt. Merz geht nun den Weg „learning by doing“. Viel Zeit bleibt ihm nicht, denn wenn er allen Regierungschefs dieser Welt die Hand geschüttelt hat, wird er sich auch hier in der Lausitz sehen lassen müssen – wie in anderen Gegenden, selbst wenn dort nicht gerade Wahlen anstehen. Hier bewegen die Menschen viele Fragen. Die nach Frieden zuerst, dann die nach dem Fortgang des Strukturwandels hier in der Lausitz. Bleibt es dabei, dass Millionen oder gar Milliarden in Staatsobjekte fließen, aber die heimischen Firmen Konkurs und die Leute zu den Tafeln gehen? Normal ist anders – oder… J.H.
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