Kommentar: Still besinnen

Wie laut, entsetzlich laut ist dieser Alltag geworden. Nein, der notwendige Abstand hat nicht zu Ruhe, sondern zu Gereiztheit, Lärm und Unfrieden geführt. Umso nützlicher können diese Tage der traditionellen Stille bis hin zum Ewigkeitssonntag sein, den Christen an diesem Wochenende begehen. Auf vielen Friedhöfen der Niederlausitz finden am frühen Sonntagnachmittag kleine Andachten mit Bläserchören statt. Das folgt einer langen Tradition, die ältere Menschen dieser Gegend schon in ihrer Kinderzeit an der Hand ihrer Mütter, Väter oder Großeltern erlebt haben.
Dieser Gedanke lässt vermuten, dass sich zumindest in diesem Teil unseres Lebens, der Friedhofskultur, Gutes und Bewährtes erhalten hat und dem flüchtigen Dasein etwas Stabilität gibt. Ist das aber wirklich so?
Wer es liebt, an fernen Plätzen auf alte Friedhöfe zu gehen und dem Geist des Ortes nachzuspüren, mag sich fragen, was spätere Generationen auf den heutigen Friedhöfen über uns erfahren. Familiengrabstellen, wie sie alteingesessene Familien vor allem in ländlichen Gegenden noch pflegen, sind seltener geworden. Auf den großen Friedhöfen füllen sich stattdessen weite Räume wort- und namenlos mit Anonymität. Die Stelen mit aufgereihten Namen der Menschen, deren Urnen unbestimmt in der Fläche versenkt sind, lassen sich gerade noch als Kompromiss verstehen vorm endgültigen Wegtauchen der Trauer in digitale Sphären geschäftstüchtiger Anbieter virtueller Friedhöfe.
Viele, viele Menschen haben in dieser Woche oder sogar schon früher die Gräber ihrer Lieben geschmückt. Sie haben sich dabei selbst geholfen, Ruhe zu finden, sich zu besinnen auf wirklich Bedeutendes in diesem Leben, das ganz gewiss mit dem Sterben endet. Keine noch so heftig erquasselte Panik talk-gieriger Schwätzer wird daran etwas ändern. Friedhöfe bleiben die stillen Orte, wo Mensch und Natur sich näher sind als irgendwo. J.H.

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