Mit Fehlplätzen in Diplomatie und Verwaltung befasst sich Jens Lipsdorf:
Matthias Platzecks Treffen mit Vertretern aus Kultur, Wirtschaft und Politik in Aserbaidschan und Russland wurde mal wieder zum Aufreger. Eigentlich sollten alle froh zu sein, dass es noch (ehemalige) Politiker gibt, die trotz Widrigkeiten den Dialog aufrecht und die Kanäle offen halten. Brandenburger Wissenschaftlern der Universitäten ist dagegen die Zusammenarbeit mit russischen Kollegen seit Jahren von der zuständigen Ministerin verboten worden. Gegen das neuerliche Aufheulen auch aus der SPD tat die pragmatische Stimme Dietmar Woidkes gut, der seinen Vorgänger im Amt verteidigte. Diplomatie auf allen Ebenen ist in diesen Tagen so wichtig wie lange nicht. Schaut man sich um, gehört sie wohl zu den „verlorenen Handwerken“. Diplomatie auf internationaler Bühne beherrschen nur noch wenige deutsche Politiker.
Ein vorauseilender Gehorsam und geradezu unterwürfiges Obrigkeitsdenken hat dieses Land erfasst. In vielen Bereichen, flächendeckend – von den Angestellten in den kleinen Kommunen bis in die Bundesebene. Verwaltungen und Ämter übertrumpfen Medien und sich gegenseitig in diesem Wahn. War das damals genauso, in den 1930er und 1940er Jahren? Ohne nachzudenken werden Verordnungen nicht nur umgesetzt sondern eigenständig im vorauseilenden Gehorsam erweitert und verschärft. In den teilweise überzogenen Corona-Maßnahmen vor Ort uferte da aus. Es bedarf eines Durchdeklinierens von Programmen, Verordnungen, Vorschriften. Was sind die Folgen ihrer Anwendung? Wem nützt es und welche Kollateralschäden können erwachsen? Schadet es mehr, als es nutzt?
Wer etwa Ausschreibungen auf dem Vergabemarkt Brandenburgs branchenübergreifend für den Mittelstand betrachtet, kommt man aus dem Kopfschütteln nicht heraus. Da muss auch der Freiberufler unterschreiben, dass sein „Unternehmen“ nicht ganz oder auch nur teilweise in russischer Hand ist. Den Spitzenplatz im Ausschreibe-Unfug nimmt ein Formular ein, in welchem man sich verpflichtet, keine Gefangenen zu befreien oder Geheimnisse zu verraten. Gefolgt von weiteren Gesetzes-Paragrafen und Androhungen bei Verstoß gegen selbige.
Nun suche ich, motiviert durch dieses wichtige Formular, auf einer kleinen Baustelle in der Nähe von Ortrand krampfhaft Gefangene. Immerhin soll dort Napoleon durchgezogen sein. Retour dann die Preußen und – natürlich – die Russen! Vermutet der Landesbetrieb Straßenwesen da noch Überlebende, die zu befreien wären? Absurd: Man verpflichtet sich zur Einhaltung von Gesetzen, die jeder Bürger per se zu beachten hat. Kurioserweise finden sich Arbeitsschutz, Verkehrsrecht, Mord und Diebstahl nicht auf der Liste. Dies als ernster Hinweis, Baustellen von Landesbetrieben und öffentlichen Trägern besser zu meiden.
Während derlei unsinnige Formblätter überhand genommen haben, werden die eigentlichen Leistungsverzeichnisse fachlich immer ungenauer, führen zu Missverständnissen und erhöhten Kosten. Wenn rund 30% der Arbeitskraft mittelständischer Unternehmen mit diesem Unrat verschwendet werden muss, kann von Bürokratieabbau keine Rede sein. Aber es schwatzt sich leicht daher, gerade von frisch gekürten Ministern der Regierungen in Land und Bund. Der Wirtschafts-Keller, in dem sich Brandenburg und die Lausitz befinden, muss dringend gelüftet werden. Fangt in den Schreibstuben an!
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