Anja Lehmann-Gumlich: wenn ein Hörgerät nicht ausreicht / Therapiemöglichkeiten auch bei Tinitus und Konzentrations- oder Schlafstörungen.
Cottbus (MB) Die meisten Menschen glauben, dass bei einem Hörverlust eine gutes Hörgerät ausreicht um wieder vollständig zu hören. Das stimmt so jedoch nicht immer. Anja Lehmann-Gumlich ist Hörgeräteakustikmeisterin, Pädakustikerin und Hörtherapeutin. In Ihrem Geschäft in der Cottbuser Friedrich-Ebert-Straße passt sie täglich mit viel Leidenschaft und Geduld Hörgeräte für Klein und Groß an.
Sie klärt auf, was ein Hörtherapeut macht und für wen ein Hörtraining in Frage kommt und was Hörentwöhnung ist.
Hörtherapeuten sind speziell im Bereich kognitive Hörverarbeitung und Hörstörungen ausgebildet. Der Besuch bei einem Hörtherapeuten beinhaltet ein Vorgespräch (Anamnese), Fragebögen (subjektive Erfassung der Höreinschränkung) einem Screening Test und ggf. einen ausführlichen Test der kognitiven Verarbeitungsbereiche im Bereich Hören zur objektiven Erfassung der Hörverarbeitungseinschränkung. Sollte ein Hörverlust vorliegen, wird dieser ebenfalls erfasst.
Hörtraining
Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse wird ein individueller Therapie- bzw. Hörtrainingsplan erstellt. Eine Hörtherapie kann von 4 (z.B. Stressmanagement) bis zu 12 Wochen (wie bei Tinnitus-Therapie) dauern. Eine Hörtherapie beinhaltet einen wöchentlichen Besuch beim Hörtherapeuten mit Trainingseinheiten und einem täglichen Training von 45-90 Minuten und anschließender Entspannung (Zeitaufwand je nach Therapie) mit Therapiegeräten. Die Therapiekosten setzen sich aus Betreuungskosten und Miete der Therapiegeräte zusammen.
Durch die regelmäßige Anwendung im Rahmen einer Hörtherapie können neue kognitive Verarbeitungsrituale etabliert und konditioniert werden und noch bestehende Hörverarbeitungsstrukturen wieder integriert werden. Fast alle Symptome bzw. Probleme einer Hörentwöhnung, Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) bei Erwachsenen und Kindern, Hyperakusis, sowie Störung der Filterfunktionen (Tinnitus) können durch Hörtraining rückgängig gemacht werden.
Beispielsweise Im Rahmen einer Hörgeräteversorgung kann die Gewöhnung an ein Hörgerät stark erleichtert werden. Um die rückgewonnene Gehirnleistung zu behalten, muss man nicht permanent ein Hörtraining durchführen. Es reicht das Gehirn „joggen“ zu lassen. Bei Hörverlust bedeutet das, dass durch das tägliche Tragen der Hörgeräte ein Training absolviert wird und das Gehirn sein tägliches „Gehirnjogging“ ganz nebenbei absolviert und fit bleibt.
Hörentwöhnung
Die Wahrnehmung ist die Interpretation und Rekonstruktion der externen Welt aus den Sinneseindrücken. Eines dieser Sinne ist das Hören. Treten hier Probleme auf, wie beispielsweise ein Hörverlust, kann dieser Sinn nicht mehr zuverlässig zur Erfassung der Umwelt beitragen. Mit zunehmendem Hörverlust entstehen für das Gehirn Informationslücken. Das führt zu Fehlinterpretationen. Aber durch den Hörverlust entsteht auch Stress im Gehirn, weil mehr Kapazitäten zur Verarbeitung von Höreindrücken aufgewendet werden müssen. Das räumliche Hören, Sprachdifferenzierung und Lautstärkeerkennung sowie Wiedererkennung werden von zunehmendem Hörverlust beeinträchtigt. Als Spätfolge stellt sich eine Hörentwöhnung ein. Symptome einer Hörentwöhnung können eine kurze Aufmerksamkeitsspanne und hohe Ablenkbarkeit sein, sowie Überempfindlichkeit bei Geräuschen, Gedächtnisstörungen, Verwechslung ähnlich klingender Wörter, schlechte Ortungsfähigkeiten, zögerndes Sprechen, Flache und monotone Stimme und Hörverzögerungen.
Mit zunehmendem Hörverlust kann diese extra Energie zur Verarbeitung von Gehörtem kaum mehr aufgewendet werden und somit verlagert sich das Gehirn mehr auf die anderen Sinne wie z.B. das Sehen. Bei fortgeschrittener Hörentwöhnung wird das Gehirn „faul“, wenn es darum geht Hörinformationen zu verarbeiten. Wir schauen dann lieber genau hin als hinzuhören.
Die Symptome einer Hörentwöhnung sind den Symptomen einer Demenzerkrankung ähnlich, da in Beiden Fällen das Abnehmen der Gedächtnis- und Denkleistungen die Folge sind.
Eine Hörentwöhnung ist der häufigste Grund für das Scheitern einer Hörgeräteanpassung. Wenn man einen Hörverlust hat und das schon über einen längeren Zeitraum, kann es am Anfang sehr störend sein, wenn man plötzlich mit einem Hörgerät versorgt wird und plötzlich wieder alles hört. Man muss sich erst wieder daran gewöhnen.
Besteht der Hörverlust mehrere Monate oder gar Jahre, reicht es nicht mehr den Hörverlust auszugleichen um in geräuschvollen Situationen wieder verstehen zu können. Hierzu muss auch die Hörentwöhnung im Gehirn rückgängig gemacht werden. Mit anderen Worten, das Gehirn muss seine Filterfunktionen und Interpretationen neu ausrichten bzw. kalibrieren.
Der Grad der Hörentwöhnung muss ermittelt werden und mit Hilfe eines Hörtrainings und speziell abgestimmten Therapiegeräten die zentrale Hörleistung ca. 6 Wochen trainiert und verbessert werden.
Vielen Dank an Frau Lehmann-Gumlich!
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