Aller Märchenzauber kommt allein vom Tanz im Staatstheater Cottbus

„Nussknacker“-Szenenfoto mit: (Bildmitte) Alessandra Armorina (Clara), Stefan Kulhawec (Prinz), (vorn links) Alyosa Forlini (Drosselmeyer) sowie Ensemble (Ballerini)  Fotos: Yan Revazov
„Nussknacker“-Szenenfoto mit: (Bildmitte) Alessandra Armorina (Clara), Stefan Kulhawec (Prinz), (vorn links) Alyosa Forlini (Drosselmeyer) sowie Ensemble (Ballerini) Fotos: Yan Revazov

Cottbus. Nein, ein getanztes Weihnachtsmärchen ist das nun gerade nicht geworden. Etwas anderes, viel viel schöneres zaubert der italienische Choreograf Giorgio Madia zu Pjotr I. Tschaikowskis wundervoller Musik (in einer Bandaufnahme von 1972) auf die Cottbuser Bühne. Es ist das ein ganz klein wenig gruselige und zugleich romantische, maßvoll ironisch erzählte Märchen E.T.A. Hoffmanns vom Nussknacker und dem Mausekönig. Adventstimmung? Nein, die kommt da nicht vor.
Nichts, gar nichts lenkt hier ab von der großen Kunst des klassischen Balletts. Madia wagt den Klassiker hier mit einer kleinen Companie, immerhin erweitert auf 18 Tänzerinnen und Tänzer, jungen begabten Leuten als allen Weltenteilen und einem Star aus dem eigenen Ensemble: der Italiener Alyosa Forlini, seit 2019/20 hier am Haus, ist der gockelhaft stolzierende Ballettmeister Drosselmeyer, den Giorgio Madia höchst schalkhaft mit überzeichneten Bewegungen in die Szene schickt, die, falls es den gibt, jeden feierlichen Ernst vom Klassischen Ballett wegblasen. Das geriet zu schöner, atemberaubender Kunst, die mit schwarzem Glanz und verlängerten Tanzfingern (Bühne und Kostüme Domenico Franchi) noch gesteigert wird.
Den russischen „Nussknacker“, schon vor 130 Jahren im zaristischen Petersburg uraufgeführt, eilt die Ahnung von leuchtendem Rot voraus. Das fehlt hier völlig. Madia fühlt sich von feinsinniger Musik zu lebhaftesten Bildern inspiriert. Während die komplette Bühne in stummes Grün getaucht bleibt, lebt eine rosafarbene Tischgesellschaft in flottesten Details. Die Beine haben noch wenig, die Hände, Finger, Hälse, Köpfe, Augen umso mehr zu tun. Mimik und temporeicher rhythmischer Klang der Bewegungen parodiert strenge Tischsitten, gegen die sich schließlich doch ein Kindertraum durchsetzt. Clara (Alessandra Armorina) darf sich als Ballerina erträumen, wozu ein Ballett-Trainingssaal mit Stange ins Spiel kommt (es halt vor allem um Tanz). Es kommt, wie im wirklichen Leben: Des einen Pech kann des anderen Chance sein. Die Primaballerina verletzt sich, und Clara wird gefordert. Sie wiegt sich verliebt mit dem Nussknacker-Prinzen, dem Grünebaum-Preisträger Stefan Kulhawec nach der Pause ein paar akrobatische Elemente und damit dem Publikum Gelegenheit zu Szenenapplaus gibt. Claras frechen Bruder Fritz tanzt Mario Barcenilla Rubio, die Eltern Stahlbaum sind, gestreng am Tisch und in all ihren Pflichten mit platonischer Erzählkraft Simone Zannini und Grünebaumpreisträgerin Venira Welijan.
Es fasziniert, wie Traum und Wirklichkeit in diesen ganz familiären Weihnachtsstunden verschmelzen, wie Claras Träume ihre Nahrung finden. Noch immer können also Puppen die alleinigen Anreger der Phantasie sein. Die Ballerina (Andrea Masotti) wird ganz lebendig, und die Mäusekönigin (wunderbar Emily Downs) bringt ihr huschendes Gefolge in ein Spiel, dass auch ganz lieblich die Schneeflocken tanzen lässt und, wie es sich dereinst (und wohl noch immer) gehörte, Soldaten in Stellung bringt.
Mit diesem „Nussknacker“ hat Ballettdirektor Dirk Neuman seine Sparte einmal mehr glänzen lassen und das Entwicklungspotential der Companie aufgezeigt. Er ist stolz auf eine Zusammenarbeit mit Giorgia Madia an diesem Haus. Der hat hier bereits mit den choreografischen Uraufführungen von „ Chopin Imaginaire“ und „Harlekin“, aber auch mit der Inszenierung „Anatevka – Fiedler auf dem Dach“ Erfolge gefeiert. Nach dem „Nussknacker“ am letzten Wochenende gab es Standing Ovation. Am 20. November, 11 Uhr, und am 25. November sind nächste Vorstellungen. J. Heinrich

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